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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Editor]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0157

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Der Tempel des Neptun zu Paestum.

Die Stadt Paestum oder Paestus lag am Lucanischen Meerbusen, dem heutigen Meerbusen von Salerno,
und war nach Strabo) und Skylax * ') griechischen Ursprungs; sie hiess anfangs Posidonia, ein Name, der
sich von der griechischen Benennung des Neptun üooetdwv herschreibt. Velleius Paterculus ***) nennt sie
daher Nepturda colonia. Virgil rühmt in seiner Georgica ■•'•■■•) ihre Gegend, die einst fruchtbar an schönen
Rosen war, die dort zwei Mal im Jahre blühten. In den ersten christlichen Jahrhunderten nahm Paestum,
«las Sitz eines Erzbischofs wurde, seinen alten Namen Posidonia wieder an. Im Mittelalter verschwand
diese Stadt nach und nach, wahrscheinlich in dem Maasse als die benachbarte Stadt Salerno an Bedeutung
zunahm. Heute ist der Ort, wo sie lag, wüst und öde, und wird durch drei grosse ziemlich wohl erhaltene
griechische Bauwerke, durch die Reste eines Amphitheaters und einer befestigten Stadtmauer, so wie durch
einige andere kleinere antike Bauten bezeichnet.

Die Ruinen von Paestum blieben lange Zeit in einer fast vollständigen Vergessenheit bis man um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts anfing sie zu besuchen und zu zeichnen; der berühmte französische Architekt
J. G. Soufflot, Mitglied der königlichen Akademie der Künste zu Paris machte davon die ersten vollständigen
Zeichnungen und Messungen, und diese wurden durch die Kupfertafeln in dem Werke de la Gardette's über
die Stadt Paestum publicirt.

Geber die Zeit der Erbauung dieser Monumente besitzen wir keine historische Daten; man versetzt sie
gewöhnlich in die Zeit der Blüthe Grossgriechenlands, wo dasselbe fast zweihundert Jahr hindurch einer sehr
grossen politischen Ruhe genoss, einer Buhe, die der Cultur der Künste nothwendig und förderlich war.
Diese Periode, die man als das goldene Zeitalter des südlichen Italiens betrachtet, ist gleichzeitig mit der
der römischen Könige und der ersten Zeiten der römischen Republik.

Der Tempel, der auf unseren Kupfertafeln dargestellt ist, gilt für einen Tempel des Neptun, des Schutz-
gottes der Stadt Paestum; er ist das wichtigste von den drei noch ziemlich gut erhaltenen Gebäuden, die
man ausser dem eben genannten mit dem Namen des Ceresternpels und der Basilika belegt.

Der Grundriss unsers Baudenkmals bildet wie die meisten der griechischen Tempel ein längliches Paralle-
logramm. Nach der Benennung der Schule würden wir ihn als eine aedes peripteros hexastylos zu bezeichnen
haben d. h. als einen Tempel, dessen Cella von einem Pteroma oder Peripteron d. i. einer Halle mit unter-
säulter Decke (tctsqov') f) umgeben wird, die an jeder der beiden schmalen Seiten oder an der Vorder- und
Hinterfronte des Tempels sechs Säulen zeigt. An der Langseite zeigt diese Halle vierzehn Säulen die Eck-
säulen eingeschlossen, so dass also im Ganzen sechs und dreissig Säulen die Decke der Halle stützen.
Dieses Pteroma ist nicht an allen Seiten gleich breit, an der Vorderfronte ist es zwischen den Säulen des
Peripteron und denen des Pronaos gemessen 17^ Rheinl. Fuss (5m50) breit, an der Hinterfronte oder an der
Seite des Posticum nur etwas über 15 Fuss (4m80), und an den Langseiten zwischen den Säulen und der
Cellenwand gemessen ist es nur 9\ Fuss (3"'00) breit. Die Gesanimtlänge des Gebäudes beträgt 193 Fuss
(60m 70), seine Breite 8]^ Fuss (25m 60) an der untersten Stufe des Unterbaues gemessen.

Der von Wänden eingeschlossene Raum des Tempels ist in drei bestimmt unterschiedene Theile getheilt:
in den pronaos, in den eigentlichen naos oder die cella und in das posticum. Der pronaos wird an den Seiten
von den verlängerten Cellenmauern oder den Parastaden (nuQaoTuSeq) eingeschlossen, deren Stirne durch die
sogenannten Juten (antae) des Vitruv begränzt werden. Zwischen diesen Anten befinden sich zwei Säulen,
die mit den Anten gemeinschaftlich das vordere Epistylion oder den Balkenträger der Decke des Pronaos
stützen und den von drei Seiten durch Wände eingeschlossenen Raum des Pronaos gegen das Peripteron
hin öffnen. In der Rückwand des Pronaos befindet sich die breite und hohe Tempelthür, durch die allein
man in den naos oder die cella gelangen konnte. Der naos bildet im Grundriss ein längliches Rechteck
von ungefähr 35 Fuss Breite und 77\ Fuss Länge; er wird nach der Länge durch zwei Säulenstellungen
von je sieben Säulen in drei Äbtheilungen geschieden, von denen die mittelste die breiteste ist und 1 3 Fuss
zwischen den Säulen misst. Die Seitenabtheilungen enthalten zwei Stockwerke, indem über der unteren
Säulenstellung und auf dem von den Säulen derselben getragenen Epistylion sich sieben andere kleinere
Säulen erheben, die eine nach dem Mittelgange des Naos hin geöffnete Gallerie (vtzzqmoi^ bilden. Auf diese

*) Strabo, p. 251.
**) Skylax, Reise im Mittelmeer.
***) Vellejus Paterculus, lil). J. c. II.
****) Yirgilii Georgicon, Hb. [. c. 1.

f) Ueber diese wie andere Benennungen der einzelnen Theile des Tempels und seiner Bauglieder verweisen wir auf C. Bottichen
Tektonik dar Hellenen.

Denkmäler der Baukunst. LH. Lieferung.
 
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