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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0133

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Der Tempel des Aroeris zu Edfu (Apollinopolis magna).

auf die Steindecke des Monumentes führten, und nur aussen kann man die Proportionen des Sanctuariums
I und der anstossenden Räume erkennen*). Basreliefs, welche Oblationen darstellen, und Sphinxe, Ge-
stalten, halb Mensch halb Löwe, in rund erhabener Arbeit, sind auf der Fläche und dem obern Theile der
hintern Mauer K des Sanctuariums sculpirt. Diese Sphinxe, welche Speiröhren im Maule haben, dienten
dazu, das Wasser und den Unrath von der Terrasse abzuführen **>.

Weiter entfernt sind die Mauern, welche das Sanctuarium aussen gegen Entweihung schützten. Jenseit
der auf dem Grundriss mit L bezeichneten Einschlussmauer musste sich eine allgemeine Ringmauer befinden,
die jetzt vollständig verschüttet ist.

Das Mammisi, oder der Entbindungsort, welches vor dem grossen Tempel seitwärts und in schräger
Richtung zu demselben liegt (s. die Tafel mit den Details Fig. 4, 5, 6), ist ein kleines Monument, das
die Spuren eines Vestibules, eines kleinen Gemaches und einer Treppe zu der eine Terrasse bildenden
Steindecke enthält. Im Fond ist das Entbindungsgemach mit zwei Säulen in der Mitte; rund herum ist
eine Säulen-Halle, die bloss noch auf drei Seiten existirt. Die Capitäle an diesem Monumente sind mit
Lotusblumen decorirt, und über denselben befinden sich Würfel, deren vier Seiten jede mit einer Figur des
Typhon (Fig. 6) geziert sind, dem das Mammisi geweiht ist. Von dieser Gottheit oder vielmehr diesem
Genius des Bösen nennt man das Mammisi auch Typhoniüm***).

Die Basreliefs, welche das Innere des Entbindungsgemaches zieren, stellen die Säugung, die Kindheit
und die Erziehung des jungen Har-Sont-Tho, des göttlichen Sohnes in der Trias des grossen Tempels, mit
den Gesichtszügen Euergetes II. vor. Diese Figur ist mit ihrem Namenringe mitten unter göttlichen Wesen
aller Ordnungen dargestellt, die für den jungen Ptolemäus Sorge tragen.

Das Mammisi von Edfu ist übrigens eins der grössten Mammisis, die bekannt sind.

Obgleich der Tempel von Edfu und sein Mammisi unter dem Schutt und den Flutten der Fellahs halb
vergraben liegen, und zum Theil zerstört oder verstümmelt sind, obgleich die Verzierungen dieser Bau-
werke in ihrer Zusammenstellung und ihrer unkünstlerischen Verschwendung einen merkbaren Abfall von
dem edlen und majestätischen Ernste der Monumente der schönsten pharaonischen Epoche zeigen, so kann
doch der Tempel von Edfu, so wie er jetzt ist, noch einen sehr hohen Begriff von der Grossartigkeit und
Pracht der Architektur bei den alten Aegyptern geben. Denn wenn auch dieses Monument erst unter den

Griechen errichtet ward, so weiss man doch:

dass diese nicht, wie vor ihnen die Perser, alles zerstörten,

sondern vielmehr die Tempel der ägyptischen Religion wiederherstellten, neue erbauten und es geschehen
Hessen, dass die Aegypter selbst neue erbauten. Wer das Monument von Edfu besucht, wird hier eine
grosse Einfachheit in den Massen, einen Ernst, eine Strenge in den Linien wahrnehmen, die schon
an sich den Eindruck einer ewigen Dauer machen, welche die Aegypter ihren Monumenten immer zu
geben suchten: er wird aber auch überrascht werden von der ausserordentlichen Sorgfalt, die sie bei
der Zusammenfügung dieser ungeheuren Blöcke anwandten, welche so trefflich zugerichtet, nach dem Loth
und Winkelmaass bearbeitet und an einander gepasst sind, dass man kaum die Fugen wahrnimmt. Aus
der Anordnung des Grundrisses in seiner bewunderungswürdigen Einfachheit der Linien, wird er erkennen,
dass man innerhalb der grossen jetzt verschütteten Umfangsmauer, die das Mammisi und ein Bassin mit
Weihwasser enthielt, wenn der Nil nicht nahe beim Tempel war, nur aus dem grossen Hofe in den ersten
Umring des eigentlichen Tempels kommen und nur durch Gemächer, die sich immer mehr dem Sanctuarium
näherten, in die demselben nächsten Räume und Einschlussmauern gelangen konnte, und dass diese Ge-
mächer und Einschlussmauern immer kleiner werden, woraus man schliessen kann, dass nur wenig einge-
weihte Priester das Sanctuarium betraten***'*). In den Verzierungen, die keineswegs so nichtssagend sind,

*) Erst in der griechischen Periode waren die Thüren oben offen, ohne Querbalken, weil erst in dieser Zeit die Bilder der
Gottheiten aus den Sanctuarien hervorgeholt und in Procession von einem Tempel zum andern getragen wurden.

'*) Man erinnere sich, dass es sehr selten in Aegypten regnet, besonders in Oberägypten. Hatten also etwa diese Löwen,
welche zuweilen die Sanctuarien umgeben, eine besondere Bedeutung ?

**) Der Thyphon, den man immer in den Mammisis findet, ward unter den hässlichsten Formen dargestellt, meist als ein
junger unbärtiger, kleiner, untersetzter, missgestalter Mensch. Man sieht, dass bei den Aegyptern, wie bei vielen Völkern,
der Mensch in seiner Schwäche fast immer den Genius des Bösen aus Furcht eben so sehr verehrt als die Götter, deren
Wohlthaten er erfleht. (S. die Restauration dieses Mammisi in dem grossen Werke der ägyptischen G'ommission.)

' *) Mit Unrecht hat man geglaubt, dass die Aegypter gewisse Thiere angebetet hätten: nur als das Werk der unbegreifbaren,
unsichtbaren Gottheit wurden diese Thiere in den Sanctuarien unterhalten. Auch hat man mit Unrecht geglaubt, dass die
religiösen Ceremonien auf Aberglauben gegründet gewesen wären. Sie bestanden vornehmlich in den Oblationen der besten
Producte und Thiere des Landes; die religiösen Feierlichkeiten, von grosser Pracht umgeben, waren für alle, die sie sahen,
 
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