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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0152

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Der Tempel von Girscheh in Nubien.

entspricht, etwas, das das Gemiith traurig stimmt und es zum Denken auffordert. Man ist beim Eintritt
in dieses geheimnissvolle Speos von Staunen ergriffen, wenn man diese plumpen colossalen Figuren
betrachtet, diese lebende Architectur, die einem bei Lesung der Geschichtsschreiber Aegyptens und Indiens
vorschwebte.

Das Speos von Girscheh zeigt überall den alten pharaonischen Arehitecturstyl. Nur an den Monu-
menten dieser Epoche sieht man Säulen, deren Anlauf abgerundet, deren Capitell der Knospe der Lotus-
blume ähnlich ist, und an den Pfeilern angelehnte Colossalstatuen. Alles zeigt hier die Kindheit in der
Kunst zu bauen an: die Wände der Säle sind nicht eben und glatt, die Pfeiler nicht gut viereckig; die
Sculptur ist plump und roh, kurz, dieses Speos zeigt in seiner Ganzheit nicht das Regelrechte, das man
an den Bauwerken der achtzehnten und neunzehnten Königsdynastie bewundert. So sieht man denn mit
Erstaunen an seinen Colossen die Namensringe des zweiten Ramses. Die Basreliefs, die das Speos
schmücken, sind für eine so frühe Zeit sehr gut, obgleich in der Nachbarschaft dieser monströsen und
unedlen colossalen Statuen, die gegen alle menschliche Proportionen so Verstössen, deren geschwollene
Schenkel und Beine unförmlichen Pfeilern gleichen. Man würde darin eher eine Darstellung der Krankheit
Elephantiasis als des Sonnengottes Ramses zu sehen vermeinen. Der Kopf dieser Statuen ist mit der
Königsmütze, dem Pschent bedeckt, in ihren über die Brust gekreuzten Armen tragen sie Geissei und
Krummstab, die gewöhnlichen Embleme des Osiris; sie sind mit einem einfachen Schurz, Schantei genannt,
bekleidet, der von einem Gürtel mit dem Namensringe des Pharao gehalten wird; als Agraffe dieses
Gürtels dient ein Löwenkopf, von dem mehrere Bänder und das Ende des Gürtels herabhängt, die in einer
Reihe von sieben Uranus enden*). Wenn diese an die Pfeiler gelehnten Colosse im Verhältniss ihrer
grösseren Höhe so weit von einander entfernt wären wie die kleineren im Vorhofe, wenn das Auge sie
mit einem Blicke übersehen könnte, so würden sie trotz ihrer rohen und barbarischen Sculptur doch
grosse Wirkung machen; aber nahe an einander gestellt wie sie in diesem Pronaos sind, verliert sich
ganz ihre imposante Grösse und sie erscheinen dem Auge nur als eine unförmliche Masse, die das Auge
nicht bewältigen kann. Vom Eingang aus gesehen zeichnen sie sich besser, und diesen Standpunkt hatten
vielleicht die Priester-Künstler jener Zeit hauptsächlich im Auge.

Dieses Speos verglichen mit den unter Ramses II erbauten Gebäuden macht zu der Ansicht geneigt,
dass die Reliefs und Hieroglyphen-Inschriften desselben erst lange nach dem Beginne des Baues gearbeitet
wurden. Die lange Bauzeit der ägyptischen Denkmäler ist eine Thatsache, die andrerseits durch aufmerk-
same Prüfung mehrerer Tempel gewonnen wird; an dem grossen Pylon des Tempels auf der Insel Philae
kann man eine griechische Inschrift sehen, die von einem Reisenden eingegraben wurde, der wahrscheinlich
dorthin gekommen war um in dem Tempel daselbst zu opfern, noch früher, als die Decoration dieses
Theiles des Tempels bestimmt und angefangen war, so dass später seine Inschrift von den Basreliefs,
die man dort anbrachte, durchschnitten wurde.

Die Arbeiten an dem Speos von Phthahei" müssen verschiedenen Zeiten angehören. Es scheint sehr
alt zu sein, und wahrscheinlich Hess Ramses, der Reparaturen an dem Denkmal vornahm, die Mauern
mit Basreliefs bedecken, seinen Namensring auf die Colosse setzen, das, was die Zeit an ihm zerstört
hatte, wieder ausbessern**) und ihnen einen jugendlichen Zug geben, mit einem Wort, er liess wahr-
scheinlich dieses Speos restauriren, das schon zu seiner Zeit alt und verfallen war; gewiss ist, dass man
kein derartiges Denkmal wieder findet, das auf Befehl der Vorgänger des Ramses noch auf den eines
seiner Nachfolger aus dem Felsen excavirt worden wäre.

Das Speos von Derri, das auch den Namen dieses Pharao inschriftlich trägt, scheint derselben Zeit
wie das von Girscheh anzugehören. Die beiden Speos von Abu-Simbel, diese Wunder Nubiens, sind
unbezweifelt ganz aus der Regierung Ramses des Grossen, und Zeugen der imposanten Grösse der ägyp-
tischen Architectur und Sculptur unter dieser Regierung, die eine der blühendsten der neunzehnten Dynastie
war. In der Zeit dieses Pharao hatte sich der ägyptische Arehitecturstyl fixirt. Man sieht in der That
unter seinen Nachfolgern nichts, was einen Fortschritt dieser Kunst bezeichnete, mit Ausnabme der lieb-
lichen Säulencapitelle vom kleinen Hypaethron zu Philae, der von Nektanebo erbaut wurde. Man gehe

*) Ein Ornament, das Belzoni für eine Art Tabacksbeutel, ähnlich dem der Bergschotten, genommen hat (m. s. Th. I S. 114
seines Werkes). Dieser naive Missverstand verdiente gar nicht beachtet zu werden, wenn er nicht eine Vorstellung von
der Kenntniss und dem Geiste des Autors gäbe, der in Sachen ägyptischer Archäologie und Sculptur zu oft citirt wird.

'*) Man bemerkt, dass an dem ersten Coloss zur Linken die fehlenden Theile in alter Zeit durch steinerne schwalbenschwanz-
förmige Dübel gehalten wurden, gleich denen, die zur Verbindung der Steine von Mauern dienen.

Detai
 
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