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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0309

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Der Tempel der Vesta zu Tivoli.

des runden Vestatempels umgeben und eingeschlossen; nicht aber ein Bild der Erde sei dies, denn diese
sei nicht Hestia, sondern es sei ein Bild des ganzen Weltalls, dessen Mitte der Heerd des geweihten
Feuers ist, den die Pythagoräer Hestia und die Einheit nennen, und auch annehmen, dass die Erde
nicht feststehe, sondern sich im Kreise um das Feuer bewege, dass sie auch nicht Mitte der Weltumdrehung,
noch weniger der edelste und vornehmste Theil des ganzen Kosmos sei. Indessen findet sich bei Anderen *)
auch die Ansicht, dass in Mitten der Erde Hestia gegründet sei. Die Römer nannten die Vesta auch
mater, magna mater und ahna mater, sie nannten sie so, weil sie, wie Isidorus **) sagt, alle Speise erzeugt
und alle Geschöpfe mit ihren Früchten ernährt; so wird sie denn auch mit der Erde, der Amme jeglicher
Ernährung, assimilirt.

Die Tempel der Vesta mussten rund ***) und an dem vornehmsten Orte der Stadt erbaut sein; mit
ihrer Gründung begann jede Gründung einer Stadt; verfiel der Tempel und machte eine Erneuerung noth-
wendig, so musste er an derselben Stelle und in derselben Form wieder erbaut werden.

Der Grundriss des Tempels in Tivoli ist ein vollkommener Kreis, wie man aus Fig. 1 unserer Tafel
der Details ersehen kann. Schon dies würde ein Grund sein, dass man ihn für einen Vestatempel nähme,
wenn nicht Alles an ihm und auf ihn Bezügliche diese Annahme begünstigte. Noch heute nennt man den
Ort, wo sich das Bauwerk erhebt, Veste; auf einer alten vor mehreren Jahrhunderten angefertigten Abbil-
dung, die man an einem Hause der Stadt sieht, ist er mit templum Vestae bezeichnet: die Attribute, die
den Fries des Monumentes schmücken, sind Stierköpfe, und Symbole des Landbaus, Früchte, Kornähren
und Blumen, zu Guirlanden verschlungen, deuten auf Fruchtbarkeit der Erde und auf die der Vesta dar-
zubringenden Opfergaben. Wenn man nach den zahlreichen analogen Darstellungen auf antiken Medaillen
den Tempel restauriren wollte, so würde man ihm eine Kuppel als Decke geben müssen. ****} Dies ist
auf der Kupfertafel, die die Facade und den Durchschnitt des Gebäudes zeigt, geschehen.

Piranesi, der dieses Monument dargestellt und mit einem lesenswerthen Aufsatze begleitet hat, so wie
Visconti, der den Text zu dem Werke Valadier's über die Monumente Roms und seiner Umgebung ge-
schrieben, sind beide der Ansicht, dass es für den Vestacultus bestimmt gewesen sei; der erstere dieser
Autoren ergänzt die Inschrift auf dem Epistylion des Tempels folgendennaassen:

AEDEM VESTAE. S. P. T. PECÜNIA. PUBLICA. RESTITUIT. CURATOliE. L. GELLIO. L. F.

Ein Lucius Gellius mit dem Beinamen Publicola war Consul i. J. d. St. 682, d. i. im Jahre 72 v. Chr.;
er wurde später Proconsul in Griechenland, wo er sich durch seine Liebe zur Philosophie bemerklich machte,
er versah in Rom das Amt eines Censors, und nach der Verschwörung des Catilina hielt ihn Cicero der
Bürgerkrone würdig. Diesem ausgezeichneten Bürger verdankt die Stadt Tibur ihren Vestatempel, wie die
Widmung auf dem Epistylion desselben anzeigt.

Das Bauwerk steht auf dem Felsen, der ein Muschelkalk ist; die Alten nannten dieses Gestein lapis
tiburtinus, heute heisst es Travertino. An der Seite, wo der Anio sich in Cascaden in das tiefe Thal her-
abzustürzen beginnt, haben die Römer zwei Stockwerke Arcaden, die mit Mauerwerk ausgefüllt sind, erbaut;
diese Substructionen sollen den Felsen stützen und so vor dem Einsturz bewahren, der an der Seite, wo
die Wasser ihn mit ihrem Fall beständig unterminiren, statt haben könnte. Durch diese Substructionen
wurde überdies noch der Platz, auf dem sich der Tempel erheben sollte, erweitert und regulirt. Die bei
denselben angewendeten Baumaterialien sind Ziegel und Bruchsteine, welche zu einem opus reticulatum
geordnet sind. Die durch die Substruction erhaltene Terrasse bildet die Area, den Platz vor dem Tempel;
der letztere stand auf dem Felsen selber.

Der Grundplan des Tempels ist ein Kreis (Tig. 1 auf der Tafel der Details); diese Gestalt hat auch
die Cella im Grundriss, die von einer Säulenhalle (Pteroma) f) umgeben ist, welche 18 Säulen bilden.
Der Tempel gehört demnach zu der Form Peripteros. ff) Er erhebt sich auf einem Unterbau, den Vitruv
hier einmal tribunal nennt; eine gerade Treppe, deren aus Tuff construirtes Mauerwerk man zum Theil
noch sieht, führte auf die Gallerie und weiter in die Cella. Vor der Treppe mag ein Altar gestanden

*) Ovid. Fast. b. 460, 267. Soph. Oed. Co!. 1727. Plat. Leg. 66.

**) Isidor. Origines lib. 8 de Vesta.

***) Senilis ad Virg. Aen. IX. „Aedes autem rotundas tribus diis dicunt fieri debere, Vestae, Dianae, vel Herculi, vel
Mercurio."

****) Siehe unten die Anmerkung**).

t) S. Bötticher's Tektonik der Hellenen. 4. Exkurs, „Pteroma."

L. L.

tt) Vitruv (ed. Schneider) Lib. IV. c. 8.
 
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