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Hr. 42. HEIDELBERGER 1854.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

FraueHStäcIt: Briefe über die Schopeiihauer’sche
Philosophie.
(Fortsetzung.)
Nach dieser Ansicht ist der Mensch die höchste Entwicklung
der Natur, aus ihrem Stoffwechsel entstanden, und durch diesen
wieder in den ewigen Stoff zurückkehrend. Der Glaube an die Un-
sterblichkeit und an Gott ist den modernen Chemikern dieser Art
ein lächerliches Hirngespinst. In merkwürdiger Weise stimmt eine
aus dem Idealismus Hegel’s hervorgegangene Philosophie, welche
man die Junghegel’sche nennt, wenn auch nicht in den Principien, von
denen sie ausgeht, doch in den Resultaten, die sie gewonnen zu
haben wähnt, mit dem Materialismus überein. Ihr ist der Mensch
Golt. Einen andern kennt sie nicht. Ihr ist die Fortdauer des Men-
schen in der Gattung die Unsterblichkeit. Sie lacht, wie Demokrit,
über den Glauben an das Transcendentale. „Lebe und geniesse“
ist das consequente Losungswort des modernen Materialismus
und des Junghegelthums. Es ist die heitere Weltanschauung,
welche nur leben und geniessen will.
Da tritt ihr urplötzlich eine seit Jahren ignorirte, nur erst seit
Kurzem ausführlicher besprochene Philosophie entgegen, welche in
ihren letzten Resultaten nicht leben und nicht geniessen will, welche
den Willen zum Leben als das betrachtet, was vom Wahren und
Höchsten abführt, welche nichts lehrt, als Entsagen dem Genüsse,
dem Leben und seinen Freuden, seiner Schönheit gegenüber, eine
Philosophie, welche erst in dem Leiden, dem Fühlen des fremden,
dem Durchleben des eigenen, die Pforte zu dem allein nicht trüge-
rischen Letzten, zu dem, was hinter oder jenseits der Natur liegt,
eröffnet. Es ist die Heraklitische Philosophie des Ernstes der
Philosophie des Lebensgenusses entgegen, wie sie der Materia-
lismus und das J u n g h e g e 11 h u m bieten. Und doch stimmen
beide Weltanschauungen, so entgegengesetzt sie in ihren Principien
sind, in den negativen Resultaten beinahe ganz überein. Beide wollen
vom Deismus, vom Glauben an Golt und an die Unsterblichkeit
nichts wissen; ja sie sprechen sich beide entschieden dagegen aus.
Nichts desto weniger ist die S c h o p e n h a u e r’sche Philosophie
nicht nur in ihrem Principe, sondern auch in der Deduelion der Be-
griffe, in der ganzen Anschauung des Lebens, des Dies- und Jen-
seits eine der modernen, irrthümlich als liberal bezeichneten diame-
tral entgegengesetzte.
Man mag über diese Philosophie denken, wie man will, der
unbefangene Beobachter wird ihrem Urheber weder Kraft und Eigen-
LXYII, Jahrg, 5. Doppelheft. 42
 
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