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Nr. 31. HEIDELBERGER 1854.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Die gegenwärtige politisch-religiöse Bewegung in China. Dargestellt von
Fi\ K. L. Bie r natzky. Berlin Ϊ854.
Eine ausführliche Geschichte und Charakteristik der politisch-
religiösen Bewegung, welche den so lange stillgestandenen Sumpf
des chinesischen Reichs jetzt aufwühlt, wäre noch nicht möglich, da
die Nachrichten davon bisher nur fragmentarisch sind, und die Be-
wegung noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Der Verf. wollte
blos das Einzelne, das bisher veröffentlicht worden, in Ein Bild zu-
sammenstellen. Für ein allseitig gültiges Uriheil findet er selbst die
Vorgänge noch nicht reif. Unstreitig ist jedoch diese Bewegung,
die in den lelztvergangenen Jahren mit fortschreitendem Erfolge auf
den Umsturz der seit ein Paar Jahrhunderten regierenden Mandschu-
Dynaslie hinarbeitet, eine höchst merkwürdige Erscheinung; erstens
dadurch, dass sie den auffallendsten Beweis aufstellt, auf welch tie-
fem Grad von Verderbniss und Schwäche die scheinbar mächtigste
Regierung durch bureaukratische Verknöcherung und geistlose Er-
starrung in blossen Formen heruntergebracht werden konnte, und
zweitens wie die Führer der gegen sie aufgestandenen Partei die
Stärke, von der sie den Sieg erwarten, vorzüglich in einer Grund-
reform der religiösen Zustände aufsuchen. In den bekannt gewor-
denen Manifesten und Schriften zur Rechtfertigung des Aufstandes
wird derselbe als unumgänglich nothwendig dargestellt, um der der
Wohlfahrt des Volks verderblichen Kastenherrschaft der Mandarinen
und der durch selbstsüchtige Täuschung und Hinterlist eingeführten
Abgötterei oder Götzenverehrung, welche die Moralität im tiefsten
Grund zerstört habe, mit einem Streich ein Ende zu machen. Von
der Mandarinenherrschaft wird nachzuweisen gesucht, dass sie in
einem wohlgegliederten und wohlorganisirten System von Raubsucht,
Ungerechtigkeit und Willkühr der Staatsbeamten bestehe, womit eine
gesetzliche Ordnung durchaus unvereinbarlich sei. Die Schlaffheit
und Unmacht dieser allgemein verhassten Regierungsmaschine wurde
schon vor wenigen Jahren in dem Krieg mit England offenbar, in
welchem geringe Streitkräfte der Britten den zahlreichen Heeren der
Chinesen eine Niederlage nach der andern beibrachten und die Re-
gierung zu Pekin, um die Volksmeinung zu beschwichtigen, zu dem
elenden Behelf eben so schwülstiger, lügenhafter Siegesberichte die
Zuflucht nehmen musste. Noch greller zeigt sich jetzt die Unmacht
dieser Regierung in dem Kampf gegen die Insurreclion, indem eine
Provinz und Hauptstadt nach der andern beinahe ohne Schwertstreich
sich ihr unterwirft.
Aus Allem, was der Verf. von den Kundgebungen der Haupt-
leiter der Bewegung, die sich als Inspirirte gebärden, mittheilt, er-
LXYII, Jahrg. 4. Doppelheft. 31
 
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