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Biernatzky: Die politisch-religiöse Bewegung.

gibt sich, dass sie eine gänzliche Umgestaltung der Religionszustände
beabsichtigen. Der Glaube an den Einen grossen Gott, den Allvater
im Himmel und Schöpfer des Weltalls, soll hiernach die Grundfeste
des religiösen Lebens abgeben, wie er es, heisst es, in China einst
vor Jahrtausenden schon gewesen. In diesen Glauben wird aber
nun Manches aus der mosaischen und der christlichen Offenbarung
aufgenommen, ohne dass es sich jedoch mit Klarheit herausstellte,
aus welchem Gesichtspunkt die Auswahl des Aufgenommenen ge-
flossen sei. Schwebt dabei den Urhebern der chinesischen Bewe-
gung etwa blos wie dem Mahomed, die Absicht einer Verschmelzung
der religiösen Vorstellungen und Gebräuche verschiedener Völker
vor Augen ? Jedenfalls scheint doch der Einfluss der durch christ-
liche Glaubensboten geschehenen Verbreitung der Bibel des alten
und neuen Bundes nicht zu verkennen. Christus wird als der Sohn
Gottes und der Bruder und grösste Wohlthäter aller Menschen an-
erkannt, der willig sein Leben hingab, um sie von der Sünde zu
erlösen. Gottes heiliger Geist wird aber dem bösen Geist der Welt
gegenübergestellt, welcher einer Grundverbesserung des Herzens wi-
derstrebt, wodurch alle Menschen zu Einer Familie gebildet würden.
Man findet in den veröffentlichten Schriften der Häupter des Auf-
standes die zehen Gebote und auch ein dem Vaterunser nachgebil-
detes Gebet. Die Verhängung der Todesstrafe über jeden Ehebre-
cher ist wohl dem Gesetz Moses entnommen. Wie liesse sich hin-
gegen dies und die Grausamkeit, womit wider die Gegner des
Aufstandes verfahren wird, mit dem höchsten Gebot des Christen-
thums in Einklang bringen? — Die Lehren des Buddha und des
Taon werden verdammt und ihren Priestern unzählige Lügen zur
Bethörung der Menschen um ihre Börsen zu füllen vorgeworfen.
Das Verbot des Opiumrauchens ist nicht neu. Aber bemerkenswerth
ist, dass die Aufstandsregierung einen neuen Kalender einführt, dem
zu Folge das Jahr in 12 Monate von je 30 und 31 Tagen und zu-
sammen in 366 Tage eingetheilt wird und ein grosser Theil der
abergläubischen Dinge im Mandschukalender aus dem Gedächtniss
verschwinden soll, da jeder Tag und jede Jahreszeit {für den, der
Gottes Gebot erfülltj gleich gut ist.
Ueber den Endausgang und die Endergebnisse und Folgen der
Bewegung lassen sich von uns bis jetzt nur Vermuthungen anslellen.
„Jedenfalls, so lauten die Schlussworte des Verfassers, dürfen die
gegenwärtigen Vorgänge in China einen Ausgangspunkt neuer Ent-
wicklungen in den Geschicken Ostasiens bilden, deren Erfolge in
politischer, religiöser und socialer Beziehung die völlige Umgestal-
tung des zahlreichsten Volkes der Erde herbeiführen können.“
Conjtanz. Ci, II. v. Wessenberg.
 
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