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Fichte’s Leben und Briefwechsel.

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beten ihres Urhebers, als in der Erkenntniss des frischen lebendigen
Quells seiner Lehre das I-Ieil. So konnte schon Mussmann 1826
sagen, die Philosophie sei durch Hegel zum gänzlichen Abschlüsse
gekommen, und nannte (1830) denselben „den tiefsten und wissen-
schaftlichsten Denker seit Jesus Christus.“ Man betrachtete die
Geschichte der Philosophie als mit Hegel fertig und verlangte,
dass das „neue Evangelium“ von seinen Aposteln in alle Welt ver-
breitet werde. Jede andere Anschauung war in Berlin und an den
meisten Orten anderwärts ausgeschlossen und verpönt. Immer aber
blieb es beim Aeussern, beim Beibehalten der Kunstausdrücke, an
denen nicht eine Wendung verändert werden durfte. Sogar das
Tabakschnupfen des Philosophen ahmten viele nach, und treffend
konnte man auf die nachbetenden Schüler des alten Hegelthums
gegenüber dem grossen Meister der Wissenschaft die Worte
Schiller’s anwenden, die er von Wallenstein und seinen Sol-
daten braucht:
„Wie er räuspert, wie er spukt,
Das habt ihr ihm weidlich abgegukt.
Aber sein Genie, ich meine sein Geist,
Sich nicht auf der Wachtparade weist.“
Man erklärte damals mit vornehmer Miene Fichte’s Stand-
punkt für überwunden, und seine Philosophie für abgethan.
Eine Biographie, welche auf seine bleibenden Leistungen offen
und unparteiisch aufmerksam machte, hatte daher vielfach mitVor-
urtheilen der Schule zu kämpfen.
Bald nach der Julirevolution begann jene reactionäre An-
schauung, welche in dem Manne des politischen Fortschrittes den
gefährlichen Demagogen, dem Freunde religiöser Aufklärung den
abtrünnigen Ketzer, in dem freisinnigen und vorurtheilslosen Welt-
weisen den verdammungswürdigen Atheisten erblickte. Auch von
dieser Seite her war die Aufnahme des Buches keine günstige. Die
Geschichte unserer Zeit hat inzwischen Vieles geändert.
Die Ansichten haben sich abgeklärt, man weiss, da der poli-
tische Sinn sich gekräftigt hat, Fichte’s unsterbliche Verdienste
nicht nur um unser deutsches Vaterland und um den politischen,
wissenschaftlichen und religiösen Fortschritt, sondern auch seine
nicht minder grossen Leistungen im Gebiete seiner Wissenschaft in
vollem Maasse zu würdigen.
Ein Buch, das auf dem Grunde der besten und zuverlässigsten,
zum Theile ganz neuen Quellen uns in die Tiefen eines so reich be-
gabten Geistes und in die innersten Lebensadern eines so flecken-
losen Herzens führt, welches die Zeit seines Daseins für alles Grosse
und Edle geschlagen hat, stösst jetzt nicht mehr auf einseitigen
Parteiwiderstand, sondern findet in der Seele des Volkes selbst und
unserer auf dem Boden einer neuen Zeit stehenden Philosophie
den kräftigsten und nachhaltigsten Anklang.
 
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