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706

Oncken: Isokrates und Athen.

kriegerische geschildert wird, dass jene Versammlung, an die
sich der Redner mit seiner ganz hoffnungslosen Opposition wendet,
unmöglich einer Zeit angehören kann, wo, wie Benseler meint, der
Friede schon so „gut wie abgeschlossen war.“
Dieser letzte Einwurf ist bereits von Christian, dessen Buch
mir übrigens erst zu Gesicht kam, als meine Arbeit fast vollendet
war, gegen Benseler’s frühere Ansicht geltend gemacht worden.
Der zweite Abschnitt (S. 127—134) versucht den Erweis,
dass eine Herabrückung der Abfassungszeit unserer Rede unmög-
lich ist, weil gewisse Thatsachen, deren Erwähnung gerade in
dieser Rede unerlässlich war, nicht mit einer Silbe berührt werden.
Zunächst werden, was bereits Christian aufgefallen ist, bei der
Beweisführung, dass eine despotische Hegemonie Sparta wie Athen
bisher bloss Unheil gebracht habe, nicht etwa die in dem beispiel-
los unglücklichen Sonderbundskriege gemachten Erfahrungen auch
nur oberflächlich namhaft gemacht, sondern das jüngste der als
Beweis eingeführten Ereignisse ist — die Schlacht von Aegos
Potamoi.
Dazu kommt ein Umstand, der bis jetzt noch nicht erwogen
worden ist, die Nichterwähnung der Anklage und Ab-
berufung des Timotheos im J. 355, also in dem Jahre, in
welchem die Rede über den Frieden geschrieben sein soll.
Ist es an sich nach dem bekannten innigen Verhältnisse des
Redners zu dem Feldherrn höchst unwahrscheinlich, dass der
Erstre, als sein Freund in der grössten Gefahr schwebte, desselben
in einer um dieselbe Zeit abgefassten Schrift nicht mit einem Worte
sich angenommen haben sollte, zumal da dieselbe Richtung unter
dem Volke, den Rednern und Feldherrn, welche den Timotheos ver-
folgte, auch den Friedensansichten des Isokrates im Wege stand
— so wird eine solche Nichterwähnung zu einem Argument von
zwingender Kraft, wenn wir eine bisher gar nicht beachtete Stelle
in der Antidosis in Betracht ziehen; dort sagt er nämlich am
Schlüsse der Schilderung seines in der Verbannung verstorbenen
Freundes §. 139:
„Mit Freuden würde ich ihn (gegen die Anklagen der Staats-
männer) verthei digt haben, wenn ich Gelegenheit ge-
habt hätte: denn ich glaube, ich würde die Zuhörer mit Hass
gegen die erfüllt haben, welche ihn der Stadt verhasst machten
und die Stirn hatten, ihn zu verunglimpfen.“
Wie konnte Isokrates im Jahre nach der Verurtheilung (353,
wo die Rede geschrieben wurde) behaupten, keine Gelegenheit zur
Vertheidigung seines Freundes gehabt zu haben, wenn er gerade
in der Zeit des schwebenden Processes eine Rede schrieb, worin
er desselben nicht mit einem Worte gedacht?
Was den Redner in den Jahren 355 —54 abgehalten hat, er-
hellt aus Dionys. Dinarch. 667, wonach derselbe um diese Zeit
einen Process auf Vermögenstausch zu bestehen hatte, in dem er
 
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