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Hermann: Verhältniss der Philosophie zur Religion.
deshalb für wahr halte, weil ich seine Sätze als wahr erkannt,
weil ich sie durch den Beweis begründet habe ? Die Religion müsste
nach dem Dafürhalten des Pirn. Verf. eine „solche Dienstleistung der
Wissenschaft, wenn sie möglich wäre, von sich abweisen“ (S. 34).
Im Falle dieser Dienstleistung der Wissenschaft wären ja „alle
jene höchsten Wahrheiten des Lebens, die Ansichten von Gott,
Freiheit, Tugend, moralischer Weltordnung undUnsterblichkeit“—
„nichts, als einfache, wissenschaftliche Lehrsätze, wie alle andern.“
Der Hr. A erf. findet es darum „nothwendig und heilsam, dass es
eine Gränze gibt, an der alles verstandesmässige Wissen aufhört
und wo ein dunkler Hintergrund das ganze diesseitige Leben von
dem jenseitigen scheidet.“ Ihm ist die Aufgabe der Philosophie,
„nicht diese, das Absolute oder den letzten Urgrund der Dinge
selbst zu begreifen, sondern es ist allein die Stellung unserer Ver-
nunft zu dieser höchsten uns umgebenden Region, die von ihr
untersucht und festgestellt werden kann.“
Wir haben nämlich nach des Herrn Verf. Dafürhalten eine
„doppelte Gattung allgemeiner Wahrheiten“ zu unterscheiden,
Wahrheiten des Verstandes und Wahrheiten der Vernunft (S. 34).
Die Wahrheit des Verstandes ist ihm eine solche, an der kein
Zweifel sein kann, wenn sie durch einen richtigen Schluss be-
wiesen ist, die Wahrheit der Vernunft kann „weder durch eine
Argumentation des Verstandes bewiesen, noch widerlegt werden“,
die Wissenschaft an sich genommen ist „ein Thätigkeitsgebiet des
reinen Verstandes“ QS. 35). Er kennt darum, da man mit der
Wissenschaft nicht zur Erkenntniss Gottes gelangen kann, keine
andere „wissenschaftliche Stellung zum Gottesbegriff, als die des
gemeinen, auf der christlichen Gottesanschauung beruhenden Den-
kens.“ Er fordert,' da ihm die Wissenschaft als in der Erkennt-
niss ungenügend erscheint, die „Existenz eines andern seiner ganzen
Natur nach der Beziehung auf diesen höchsten persönlichen Ur-
grund alles Daseins angemessenen Lebensgebietes“ (S. 38). Dieses
ist ihm die „Religion.“
Seit aber die Philosophie zum Bewusstsein ihrer Aufgabe ge-
kommen war, hat sie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart als
eine solche das Forschen nach dem letzten Grunde, dem Wesen
und den Verhältnissen aller Erscheinungen betrachtet. Sie kann
also unmöglich dem blossen Glauben überlassen, was wesentlich
in das Gebiet ihrer eigenen Untersuchung gehört. Verlieren denn
die wissenschaftlichen Lehrsätze die Bedeutung für den Glauben?
Bleibt nicht vielmehr der Glaube eine untere Stufe des Erkennens
und steht höher und ergreift den ganzen Menschen mehr, weun
ihm das, was er glaubt, als objectiv und absolut gewiss erscheint,
während es vorher nur subjectiv gewiss ist? Ist nicht eine Reli-
gion, die Verstand und Herz, den ganzen Menschen befriedigt,
auf einem haltbareren Boden, als diejenige, die sich nur an „einen
dunkeln Hintergrund“ hält, wo alles „verstandesmässige Wissen“
Hermann: Verhältniss der Philosophie zur Religion.
deshalb für wahr halte, weil ich seine Sätze als wahr erkannt,
weil ich sie durch den Beweis begründet habe ? Die Religion müsste
nach dem Dafürhalten des Pirn. Verf. eine „solche Dienstleistung der
Wissenschaft, wenn sie möglich wäre, von sich abweisen“ (S. 34).
Im Falle dieser Dienstleistung der Wissenschaft wären ja „alle
jene höchsten Wahrheiten des Lebens, die Ansichten von Gott,
Freiheit, Tugend, moralischer Weltordnung undUnsterblichkeit“—
„nichts, als einfache, wissenschaftliche Lehrsätze, wie alle andern.“
Der Hr. A erf. findet es darum „nothwendig und heilsam, dass es
eine Gränze gibt, an der alles verstandesmässige Wissen aufhört
und wo ein dunkler Hintergrund das ganze diesseitige Leben von
dem jenseitigen scheidet.“ Ihm ist die Aufgabe der Philosophie,
„nicht diese, das Absolute oder den letzten Urgrund der Dinge
selbst zu begreifen, sondern es ist allein die Stellung unserer Ver-
nunft zu dieser höchsten uns umgebenden Region, die von ihr
untersucht und festgestellt werden kann.“
Wir haben nämlich nach des Herrn Verf. Dafürhalten eine
„doppelte Gattung allgemeiner Wahrheiten“ zu unterscheiden,
Wahrheiten des Verstandes und Wahrheiten der Vernunft (S. 34).
Die Wahrheit des Verstandes ist ihm eine solche, an der kein
Zweifel sein kann, wenn sie durch einen richtigen Schluss be-
wiesen ist, die Wahrheit der Vernunft kann „weder durch eine
Argumentation des Verstandes bewiesen, noch widerlegt werden“,
die Wissenschaft an sich genommen ist „ein Thätigkeitsgebiet des
reinen Verstandes“ QS. 35). Er kennt darum, da man mit der
Wissenschaft nicht zur Erkenntniss Gottes gelangen kann, keine
andere „wissenschaftliche Stellung zum Gottesbegriff, als die des
gemeinen, auf der christlichen Gottesanschauung beruhenden Den-
kens.“ Er fordert,' da ihm die Wissenschaft als in der Erkennt-
niss ungenügend erscheint, die „Existenz eines andern seiner ganzen
Natur nach der Beziehung auf diesen höchsten persönlichen Ur-
grund alles Daseins angemessenen Lebensgebietes“ (S. 38). Dieses
ist ihm die „Religion.“
Seit aber die Philosophie zum Bewusstsein ihrer Aufgabe ge-
kommen war, hat sie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart als
eine solche das Forschen nach dem letzten Grunde, dem Wesen
und den Verhältnissen aller Erscheinungen betrachtet. Sie kann
also unmöglich dem blossen Glauben überlassen, was wesentlich
in das Gebiet ihrer eigenen Untersuchung gehört. Verlieren denn
die wissenschaftlichen Lehrsätze die Bedeutung für den Glauben?
Bleibt nicht vielmehr der Glaube eine untere Stufe des Erkennens
und steht höher und ergreift den ganzen Menschen mehr, weun
ihm das, was er glaubt, als objectiv und absolut gewiss erscheint,
während es vorher nur subjectiv gewiss ist? Ist nicht eine Reli-
gion, die Verstand und Herz, den ganzen Menschen befriedigt,
auf einem haltbareren Boden, als diejenige, die sich nur an „einen
dunkeln Hintergrund“ hält, wo alles „verstandesmässige Wissen“