Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
930

Carus: Natur und Idee.

auch gesagt wird, das Selbstbewusstsein des Staatslebens spreche
sich am reinsten darin aus, „dass jenes tief im Wesen der Mensch-
heit und des Staates liegende göttliche Urbild oder Vorbild eines
wahrhaft menschlichen Vereinslebens, im Geiste einzelner höherer
befähigter Individuen besonders offenbar werde, und allmählich nun
in immer gesteigerter Klarheit hervortrete in Form des Ge-
setzes.“ Hiemit geht dem Verfasser Hand in Hand die Verehrung
gegen die Gesetzgeber. Er glaubt aus demselben Grunde die Ent-
wicklung des Staates mit der Entwicklung der Sprache vergleichen
zu dürfen. (S. 476). Diese Fingerzeige genügen ihm, um verstehen
zu lassen, dass die Naturphilosophie, eben weil von ihr allein die
volle Begründung der Lehre vom Organischen überhaupt zu er-
warten ist, auch stets insbesondere geeignet ist, von den grund-
wesentlichen Verhältnissen des Staates den tieferen Aufschluss zu
geben. Auf S. 477 spricht er vom Verhältniss des Staates gegen
Aeusseres, d. h. gegen andere Staaten und Völker, zugleich Ge-
legenheit nehmend von der Thatsache, dass der Versuch, die Eini-
gung der gesammten Menschheit zu einem Staate ohne ein solches
Streben erzwingen zu wollen, nie zu etwas Anderen als zu einem
Zusammensetzen aus verschiedenen Elementen d. h. zu einem an-
organischen Verfahren führen müsse, ja überhaupt schon desshalb
nie realisirt werden könnte, was das Scheitern aller Versuche kühner
Eroberer bewiesen hat.
Von dem Entstehen eines Staates (S. 480). Zum allmähligen
Hervorgehen eines Staates ist nicht blos die gleichzeitige Entwick-
lung der Sprache Bedingung (erste Bedingung), sondern auch noch
die Schrift (zweite Bed.) Um nämlich das, was den Staat macht,
das Gesetz, zu fixiren, kann dessen blos sprachliche Auffassung
nicht ausreichen, das Gesetz selbst muss durch eben diese
sprachliche Feststellung aus dem Bereich der stets
schwankenden Individualität des Menschen zu einer
festeren gleichsam abstrakten Existenz gerettet werden, wenn es
als Staatsgrundlage sich behaupten soll, und schon aus diesem
Grunde dürfen wir es jetzt aussprechen: keine Entstehung
des Staates ohne eingeschriebenes Gesetz, ohne Ge-
setztafel. Der Begriff der Gesetztafel verhält sich zum Staate ebenso,
wie das Skeleton zum animalen Organismus. Ist das Gesetz auch
verbietend, negirend, retardirend, so ist es doch im Ganzen überall
fördernd und belebend.
Äusser dem Zustandekommen des geschriebenen Gesetzes ist
aber noch das lebendige Erwachen des Bewusstseins zur Kraft-
entwicklung nöthig. Je lebendiger der Begriff des Gesetzes im
Volke aufgeht, desto mehr wird die Idee des Staates realisirt. Der
Unterschied eines sclavischen Volks und einer freien Nation ist
hauptsächlich nur von diesem Standpunkte scharf zu zeichnen. Weder
das Ausgehen von der Organisation der Familie (wie bei Aristoteles
der Fall), noch das Ausgehen vom Begriff der Gerechtigkeit (wie
 
Annotationen