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Strack, Friedrich [Editor]; Becker-Cantarino, Barbara [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI issue:
I: Romantische Erfahrung und poetische Innovation
DOI article:
Petersdorff, Dirk von: Korrektur der Autonomie-Ästhetik, Appell an das 'Leben'
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0082

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Korrektur der Autonomie-Ästhetik, Appell an das ,Leben'

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sich plakativ in der Umarbeitung eines Sonetts An Heinrich Grafen v. Loeben,
das in der frühen Fassung beginnt: „Die Klugen, die nach uns nicht wollten
fragen". Die spätere Fassung setzt ein: „Die Klugen, die nach Gott nicht wollten
fragen".36 Damit wird der Anspruch der Dichtergruppe, als gesellschaftliche
Leitinstanz zu fungieren, aufgegeben. Der „Gott", der in den Vers eingesetzt
wird, ist nicht als poetisch konstruierte Wahrheit gedacht. Dieser Gott muss
von sich aus existent sein, weil er sonst in den ewigen Strudel von Setzung und
Negation hineingezogen würde. Wo eine Kunstreligion subjektiv generierte
Ideen hervorbringt, die zeitlich nur selten stabil sind und denen die Sicherung
durch eine Institution fehlt, hält Eichendorff eine objektiv, für alle vorhande-
ne transzendente Wahrheit für notwendig, um der Selbstreferentialität, dem
Wirklichkeitsverlust und dem Spielcharakter der Literatur zu entgehen.

Auch dieser religiösen Korrekturbewegung der Autonomie drohen Gefah-
ren. Auch hier kann es zu einer neuen Heteronomie kommen, Dichtung zur
Verkündigung kirchlicher Wahrheiten geraten.37 Aber so wenig, wie man Ei-
chendorff als nationalistischen Autor bezeichnen wird, so wenig ist er einfach
als Dichter des Katholizismus zu bezeichnen, und er hat sich selber gegenüber
jeder Tendenzliteratur abwertend geäußert. In einer abschließenden Überle-
gung soll zumindest noch angedeutet werden, dass Eichendorff in seinem ent-
wickelten romantischen Werk der Balanceakt zwischen der Eigengesetzlichkeit
der Literatur und ihrer Anbindung an poesie-externe Größen gelingt. Beispiel-
haft dafür kann das Gedicht Mondnacht stehen:

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.38

Eichendorff, EW I: 66 und 867t

Diese Refunktionalisierung einer selbstbezüglichen Kunst beschäftigt fast alle spätromanti-
schen Autoren. Bis zum Extrem getrieben wird dies, wenn Clemens Brentano die Emmerick-
Visionen verfasst. Er versteht sich als .Schreiber', als Organ einer externen Macht, die seiner
Literatur Wahrheits-Status verleiht. Dass er auch damit der Autonomie von Literatur nicht
ganz entkommt, vielleicht auch nicht entkommen will, zeigen neuere Arbeiten, vgl. Horst-
kotte 2004.

Eichendorff, EW I: 322f.
 
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