288
Barbara Becker-Cantarino
„stürmendem Rhythmus seine Gefühle ausströmen"34 Creuzer stellte die an-
tike Literatur als poetisches Abbild ihrer Zeit mit den Begriffen seiner eigenen
Zeit dar: „Was der lehrende Verstandesmensch durch eine geordnete Folge
von Begriffen zu erläutern pflegt, ward hier in einem grellen Bild gezeigt"35.
Hier zeige sich „das Ende der heroischen Zeit, in welcher der griechische Geist
durch klares Umfassen einer höchst einfachen Umgebung erstarkt war, ein
Hervortreten in einen weiteren Kreis vielfacher Verhältnisse und reicher Er-
fahrungen;" deshalb sei für das Epos das Metrum der „natürliche Ausdruck
dieser gehobenen Dichterexistenz" unverträglich mit dem „ernsten Zwecke
der Sagenschreibung" gewesen und die Prosa sei „das Zeichen, dass nicht das
weite Gebiet der Phantasie die Heimath der Mythographen sey, der feste Bo-
den der begränzten Wirklichkeit. Aus diesen Ursachen ging also die Historie
hervor, oder vielmehr die Mutter derselben, die Logographie der Ionier."36
Creuzer ging entwicklungsgeschichtlich vor; strapazierte die Dichotomie von
Verstand und Gefühl und seine teilweise unklaren Formulierungen liefen auf
leere Floskeln aus dem zeitgenössischen Literaturdiskurs - etwa des Athenäums
- hinaus. Obwohl es Creuzers Anspruch war (etwa im 2. Teil „Entstehung der
Historie ihren Bestandteilen nach") das Verhältnis der griechischen Sagen zur
historischen Wahrheit als wissenschaftliches Fach zu behandeln und obwohl
er philologisch vorging (er brachte viele Zitate aus den antiken Autoren), so
war seine Darstellung oft spekulativ und assoziativ und er betrachtete die grie-
chische Literatur mit den Vorstellungen der Romantiker. Darin wurde er bald
durch die Gespräche mit Karoline von Günderrode unterstützt.
In dem einflussreichen, während der Affäre mit der Günderrode erarbei-
tetem Aufsatz „Idee und Probe alter Symbolik"37 stellte Creuzer den Silen-
Mythos in den Mittelpunkt, „weil er [Silen] auf einer Höhe erscheint, die über
die Grenzen der Menschheit hinauslugt, von der er sodann herabsteigt, und,
sich entäußernd jener mystischen Würde, dem Leben nahet, ein ernster Den-
ker und freundlicher Helfer zugleich, selbst in bürgerlicher Noth, und zuletzt
ein bedeutsames Bild des Todes"38. Silen war nur ein Halbgott, Sohn einer
Nymphe, aber „über die niedere Menschheit erhaben"39. Creuzer betont Silens
„mystische Hoheit", erst die Trunkenheit habe Silen in die Gewalt der Menschen
gegeben.40 Er berichtet über dessen „Kinderliebe"41,bemerkt, dass Schweigen,
in-sich-zurückziehen, Verschlossenheit den Silen charakterisiere und „des To-
des Stille erinnert an den stillen Waldgott"42. Silen heiße „Philosoph" in der
34 Creuzer 1803,4.
35 Creuzer 1803,36.
36 Creuzer 1803,40.
37 Creuzer 1806.
38 Creuzer 1806,230-31.
39 Creuzer 1806,254.
40 Creuzer 1806,238.
41 Creuzer 1806,246.
42 Creuzer 1806,249.
Barbara Becker-Cantarino
„stürmendem Rhythmus seine Gefühle ausströmen"34 Creuzer stellte die an-
tike Literatur als poetisches Abbild ihrer Zeit mit den Begriffen seiner eigenen
Zeit dar: „Was der lehrende Verstandesmensch durch eine geordnete Folge
von Begriffen zu erläutern pflegt, ward hier in einem grellen Bild gezeigt"35.
Hier zeige sich „das Ende der heroischen Zeit, in welcher der griechische Geist
durch klares Umfassen einer höchst einfachen Umgebung erstarkt war, ein
Hervortreten in einen weiteren Kreis vielfacher Verhältnisse und reicher Er-
fahrungen;" deshalb sei für das Epos das Metrum der „natürliche Ausdruck
dieser gehobenen Dichterexistenz" unverträglich mit dem „ernsten Zwecke
der Sagenschreibung" gewesen und die Prosa sei „das Zeichen, dass nicht das
weite Gebiet der Phantasie die Heimath der Mythographen sey, der feste Bo-
den der begränzten Wirklichkeit. Aus diesen Ursachen ging also die Historie
hervor, oder vielmehr die Mutter derselben, die Logographie der Ionier."36
Creuzer ging entwicklungsgeschichtlich vor; strapazierte die Dichotomie von
Verstand und Gefühl und seine teilweise unklaren Formulierungen liefen auf
leere Floskeln aus dem zeitgenössischen Literaturdiskurs - etwa des Athenäums
- hinaus. Obwohl es Creuzers Anspruch war (etwa im 2. Teil „Entstehung der
Historie ihren Bestandteilen nach") das Verhältnis der griechischen Sagen zur
historischen Wahrheit als wissenschaftliches Fach zu behandeln und obwohl
er philologisch vorging (er brachte viele Zitate aus den antiken Autoren), so
war seine Darstellung oft spekulativ und assoziativ und er betrachtete die grie-
chische Literatur mit den Vorstellungen der Romantiker. Darin wurde er bald
durch die Gespräche mit Karoline von Günderrode unterstützt.
In dem einflussreichen, während der Affäre mit der Günderrode erarbei-
tetem Aufsatz „Idee und Probe alter Symbolik"37 stellte Creuzer den Silen-
Mythos in den Mittelpunkt, „weil er [Silen] auf einer Höhe erscheint, die über
die Grenzen der Menschheit hinauslugt, von der er sodann herabsteigt, und,
sich entäußernd jener mystischen Würde, dem Leben nahet, ein ernster Den-
ker und freundlicher Helfer zugleich, selbst in bürgerlicher Noth, und zuletzt
ein bedeutsames Bild des Todes"38. Silen war nur ein Halbgott, Sohn einer
Nymphe, aber „über die niedere Menschheit erhaben"39. Creuzer betont Silens
„mystische Hoheit", erst die Trunkenheit habe Silen in die Gewalt der Menschen
gegeben.40 Er berichtet über dessen „Kinderliebe"41,bemerkt, dass Schweigen,
in-sich-zurückziehen, Verschlossenheit den Silen charakterisiere und „des To-
des Stille erinnert an den stillen Waldgott"42. Silen heiße „Philosoph" in der
34 Creuzer 1803,4.
35 Creuzer 1803,36.
36 Creuzer 1803,40.
37 Creuzer 1806.
38 Creuzer 1806,230-31.
39 Creuzer 1806,254.
40 Creuzer 1806,238.
41 Creuzer 1806,246.
42 Creuzer 1806,249.