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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

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VI: Die Politisierung der volksidee und ihre Nachwirkungen im 19. und 20. Jahrhundert
DOI Artikel:
Klausnitzer, Ralf: Zentrum oder Peripherie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0572

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Faszinations- und Wirkungsgeschichte der Heidelberger Romantik 553

anschließende zweite Abschnitt thematisiert Wandlungen in der literarisch-
kulturellen wie in der wissenschaftlichen Wahrnehmung dieser Kulturepoche,
die auf Grundlage fortgesetzter Binnendifferenzierungen veränderte Observa-
tionen und Wertungen hervortrieb. Im Zentrum stehen vor allem die bereits in
den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einsetzenden und in den 1920er
Jahren signifikanten Verschiebungen in der universitären wie der außeruniver-
sitären Romantikrezeption, die sich aus näher zu benennenden Gründen nun
vor allem der Heidelberger Romantik widmete und deren Projekte zu einem
zentralen Bezugspunkt epistemischer wie kulturell intervenierender Beobach-
tungen exponierte. Was Walther Linden, Redakteur der Zeitschrift für Deutsch-
kunde, 1933 auf die Formel von der „Umwertung der deutschen Romantik"
brachte und mit einer dezidierten Prämierung ihrer späteren Phase verband,
war keineswegs nur eine Reaktion auf politische Veränderungen im Umfeld
der disziplinären Literaturforschung, sondern - wie zu zeigen sein wird - das
Resultat langfristiger und umfassender Veränderungen im Wissenschafts- und
Bildungssystem, die ihrerseits auf faszinationsgeschichtliche Umbesetzungen
im kulturellen Haushalt einer sich wandelnden Gesellschaft reagierten. Der
dritte und abschließende Abschnitt umreißt divergierende Thematisierungs-
weisen der Heidelberger Romantik, die auch im Spannungsfeld politischer
Lenkungsansprüche zwischen 1933 und 1945 erhalten blieben.

I. „Wiedergeburt" der Romantik nach 1900

„Eine Schar junger Männer und Frauen stürmt erobernd über die breite träge
Masse Deutschlands. Sie kommen wie vor Jahrhunderten die blonden germa-
nischen Stämme der Wanderung: abenteuerlich, siegesgewiß, heilig erfüllt von
ihrer Sitte und ihrem Leben, mit übermütiger Verachtung die alte morsche
Kultur über den Haufen werfend." Mit der Inszenierung einer provokativ er-
folgreichen Jugend- Erneuerungsbewegung beginnt Ricarda Huchs erstmals

1899 veröffentlichte Darstellung Blüthezeit der Romantik. Laut Vorrede zur
ersten Auflage im Einklang mit einer Gegenwart geschrieben, „wo man nach
einer vorangegangenen gänzlichen Abwehr der romantischen Ideen sie um sich
herum von Neuem aufleben sieht", will die kulturhistorische Monographie den
„Sinn der Romantik" darstellen und dazu die Lebensschicksale und Ideen ihrer
personalen Akteure nachzeichnen; motiviert ist sie durch die explizit formu-
lierte Hoffnung, es werde „in unserer Zeit [... ] ein größeres Verständnis dafür
möglich sein, als eine frühere Generation haben konnte".4

Mit dem demonstrativen Anschluss einer historischen Darstellung an ak-
tuelle Dispositionen und Bedürfnislagen steht Ricarda Huch in der Zeit um

1900 nicht allein. Auch die Appellation an ein generationsspezifisch segmen-
tiertes Publikum und dessen veränderte Wahrnehmungsfähigkeit ist keine sin-

4 Huch 1899/1920, V und 1.
 
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