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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 18 - Nr. 25 (4. März - 28. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0070
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Jahren der Frau Wilmot, und dieſe erzählte mür ein-

mal, daß ihr dieſelbe mit andern Schmuckſachen geſtoh-

len worden ſei.“

„Was?“ rief Herr Wilmot, „die Uhr meiner Frau?

Sind Sie deſſen ſicher?

„Ganz ſicher! Ich entſinne mich dieſer Uhr ganz
genau, da ich ſie öfter in der Hand hatte und z. B.

dieſe drei Juwelen ſelbſt einſetzte.“
„Das iſt ſehr eigenthümlich“, ſagte unſer Direktor,
„der Dieb, welcher dieſe Uhr ſtahl, muß irgendwie mit
Denen in Verbindung ſtehen, welche heute Nacht den
Raub ausführten. Herr Porter,“ fuhr er fort, ſich an
den Stationsmeiſter wendend, „können wir ſofort eine
Spezial⸗-Lokomotive nach N. haben?“
„Ich will ſogleich eine beordern,“ erwiderte bereit-
willig der Beamte, „und werde telegraphiren, daß man
die Bahn frei hält.“
Während dies geſchah, fragte Herr Wilmot den Dok-
tor, ob ich ohne Gefahr mit nach N. genommen wer-

den könne, um vielleicht die Räuber zu identifiziren.

Der Doktor meinte, es ſei nichts dabei zu riskiren, und
erklärte ſich bereit, uns zu begleiten, um ſogleich bei
der Hand zu ſein, wenn es nothwendig werden ſollte.
Wir beſtiegen alſo die Lokomotive nud befanden uns
bald in N. Herr Wilmot und zwei Geheimpoliziſten
begaben ſich ſofort nach der Bank, während ich mit dem
Reſt der Geſellſchaft in einem kleinen Gaſthofe blieb.
Nach einer halben Stunde kehrte Herr Wilmot allein
zurück; er ſagte, man habe Herrn Garſtang nicht an-
getroffen, derſelbe hätte am Tage vorher eine kleine
Reiſe angetreten. Die Geheimpoliziſten waren zurück-
gelaſſen und ſo auſgeſtellt worden, daß ſie beobachten
konnten, wer die Bank beſuchte oder verließ. Wilſon,
der Uhrmacher, war indeſſen bei verſchiedenen ſeiner
Kollegen in N. geweſen und hatte ihnen die gefundene
Uhr gezeigt; Einer derſelben erkannte ſie, er hatte ſie
wiederholt für Garſtang gereinigt. Das war ein neues
ſstarkes Glied in der Kétte unſeres Verdachtes, und die
Parole hieß nun: Garſtang finden! Der Stations-
meiſter Porter, bei dem wir uns zuerſt erkundigten,
wollte wiſſen, daß Garſtang öfter in einem kleinen
Fuhrwerk die Stadt nach einer beſtimmten Richtung
verlie, und in dieſer Richtung lag ein Dorf, wohin
wir uns auf den Weg machten. Wir erfuhren dort,
daß hier Garſtang oft in ſeinem Fuhrwerk geſehen werde
und daß er ein einſomes, auf ſeinem eigenen Grund
und Boden gelegenes Haus beſuche, welches nur eine
alte Frau mit ihrer Tochter bewohne. Unſere Fahrt
ging alſo nach dem Hauſe. Als wir es erreichten,
biieb ich mit dem Doktor im Wagen und die Andern
theilten ſich. Eine Partie beſetzte die Front, die an-
dere die Rückſeite des Hauſes, aber noch ehe Jemand
die Thüren erreichte, hörten wir das Knarren von Rä-

dern und der Doklor ſah einen Wagen mit ſehr ab-

getriebenen Pferden den Waldweg herabkommen. Un-
ſere Leute verbargen ſich, und da man unſern Wagen
vom Waidweg aus nicht gut ſehen konnte, ſo fuhr die
Kutſche ungenirt in das Hofthor des einſamen Hauſes.

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Jeht wurdr. die AUg 0 fämmtlie behtt und wir
Halhn die Vögel in der Balle. .
Es iſt nicht nöthig, weitläufig austinanderzuſetzen,
daß wir die wirklichen Räuber gefangen hatten. Sie

verſuchten zwar von ihren Feuerwaffen Gebrauch zu
machen, fanden uns aber vorbereitet und allen Wider-
ſtand nutzlos. Als die Inſaſſen des Hauſes mit mir
konfrontirt wurden, erkannte ich un er ihnen ſogleich
den Mann, welcher mir am Abend vor der Bank be⸗—
gegnet war und der mir ſpäter den Schlag mit dem
Piſtolenknauf verſetzte. Ebenſo identifizirte beide Ge-
fangene der Stationsmeiſter, obgleich ſie ſeitvem die
Kleider gewechſelt hatten, als Diejenigen, welche in W.
in meinen Waggon eingeſtiegen waren. Der Eine der
beiden Männer war Bankdirektor Garſtang, der Andere
ſein Bruder.
Das ganze Geheimniß war ſomit aufgeklärt. Aber
die Beiden hatten noch Mitſchuldige. Auf unſere Er-
kundigung im Telegraphenbureau erfuhren wir, daß
ein junges Mädchen die verhängnißvolle Chiffredepeſche
gebracht habe, und dieſes junge Mädchen war die an-
gebliche Tochter der alten Inſaſſin des einſamen Hau-
ſes und das frühere Dienſtmädchen des Herrn Wilmot.
Sie geſtand, daß ſie zwar das Juwelenkäſtchen damals
genommen habe, aber ohne deſſen Werth zu kennen;
Garſtang ſei ihr an jenem Abend im Hausgang begeg-
net, habe ſie eingeſchüchtert, ihr den Kaſten abgenom-⸗
men und ſie dann in ein verdächtiges Haus geführt,
wo er ihr die Ehe verſprach, wenn ſie über den Ver-
bleib der werthvollen Schmuckſachen ſchweigen werde.
Sie verſprach das, wurde von Herr Wilmot fortgeſchickt
und dann von Garſtang aufgenommen, der ſie zwar
nicht heirathete, aber ſie fortwährend in Furcht zu hal-
ten wußte. Sie gehorchte ihm blindlings und machte
ſich ſomit auch zur Mitſchuldigen des zweiten Verbre-
chens.
Während der Prozeß der beiden Garſtangs ſchwebte,
ſtelten ſich noch verſchiedene Bankbetrügereien des ſau-
bern Brüderpaares heraus, und da ihnen der Eiſen-
bahnraub poſitiv nachgewieſen wurde ſo erhielten ſie
eine lebenslängliche Arbeitshausſtrafe mit zeitweiſer
Applizirung der „Katze.“ Das Mädchen ſtarb noch vor
ihrer Verurtheilung an der galopptrenden Schwind-
ſucht. Was mich ſelbſt betrifft, ſo war ich bald wie-
der hergeſtellt und erhielt den Direktorpoſten in S.;
die Erledniſſe jener Schreckensnacht werde ich aber nie
vergeſſen. ö

I

Hoffmann von Fallersleben.
Von G. Jaquet. ö
Die Lüneburger Haide nicht bloß, ſondern der ganze
Regierungsbezirk — oder wie es in Hannover heißt:
„Landdroſtei“ — Lüneburg iſt eine der unfruchtbarſt en
und an landſchaftlichen Neizen ärmſten Gegenden in
 
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