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Helbig, Wolfgang
Untersuchungen über die Campanische Wandmalerei — Leipzig, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.12280#0289

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XXIII. Das Naturgefühl:

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XXIII. Das Naturgefiihl.

Auch hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen zu der
Natur bildet die Alexariderepoche einen bedeutsamen Wendepunkt.
Damals fing das Naturgefiihl der Griechen an eine Richtung ein-
zuschlagen , die bis zu einem gewissen Grade der modernen Em-
pfindungsweise verwandt war. Da diese Erscheinung, namentlich
in so weit sie in der Poesie hervortritt, bereits von Woermanri 1)
richtig beurtlieilt und einleuchtend dargestellt worden ist, so be-
gnüge ich mich, nur einige besonders bezeichnende Gesichtspunkte
hervorzuheben.

Ein wesentlicher Culturfactor, der erforderlich war, damit
die Empfindung der Griechen eine solche Richtung nehmen konnte,
gedieh in der hellenistischen Epoche zu vollendeter Reife. Die
polytheistische Religion war bei der grössten Masse der Gebildeten
vollständig zersetzt und hatte monotheistischen, pantheistischen
und selbst atheistischen Weltanschauungen Platz gemacht2). So
lange der Glaube Bestand hatte, dass Gebirg, Thal, Wald mit
einer Fülle von Nymphen, Satyrn und Panen bevölkert waren,
müsste der Eindruck der realen landschaftlichen Erscheinungen
durch den Reflex der Göttergestalten, welche die Phantasie der
Griechen darin lebend und webend dachte, e'igehthümlich modi-
licirt werden. Erst als dieser Glaube erloschen war, wirkte die
sichtbare Natur rein Und unmittelbar auf den Geist des griechi-
schen Betrachters.

Mancherlei Elemente, welche seit der Alexanderepoche in der
griechischen Entwickelung maassgebend wurden, vereinigten sich,
um diese Wirkung in eigenthümlicher Weise zu bestimmen. Der
Grundzug der damaligen Zeit, der dahin ging, die Dinge in ihrer
Realität zu erfassen und zu durchdringen , erstreckte sich auch
auf die Natur. Seitdem die Erschliessung Asiens zur Ergründung
derselben eine Fülle neuen Materials darbot, nahmen die Studien
der Erd- und Naturkunde einen unvergleichlichen Aufschwung
und wurden Geographie, Astronomie, Zoologie und Botanik zu
besonderen Wissenschaften erhoben. Abgesehen von der wissen-
schaftlichen Untersuchung musste auch"tfie Anschauung der
bisher unbekannten Gegenden bei der damaligen Generation den
Blick für die individuellen Erscheinungen der Natur schärfen.
Nicht nur die Feldziige Alexanders und der Diadoehen, sondern

1) Ueber den landschaftlichen Natursinn der Griechen und Römer
p. «5 ff.

2) Vgl. Woermarin, Ueber den landschafti. Natursinn p. 6G ff.
 
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