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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 23.1912

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Michel, Wilhlem: Der Kampf um den Neuen Stil im Ausland, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7710#0146

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134

INNEN-DEKORATION

DER KAMPF UM DEN NEUEN STIL

IM AUSLAND. (Fortsetzung und schluss.)

Wenn diejenigen französischen Interessentenkreise,
die unter der gegenwärtigen Stilkrise so sehr zu
leiden vorgeben, der Belehrung zugänglich wären, müßte
ihnen immer wiederholt werden: Das deutsche Kunst-
gewerbe ist nicht Biedermeier, ist nicht England, ist nicht
Ornament oder Nicht-Ornament, Reichtum oder Kargheit
der Formen; sondern es ist: Wille zur Gegenwart,
es ist praktischer Sinn, disziplinierte Arbeit und das
Kulturgewissen der Nation, das Künstler, Industrielle,
Käufer und Behörden vereinigte, um dem als richtig Er-
kannten zum Siege zu verhelfen. Das will sagen: Das
Wesentliche der kunstgewerblichen Entwicklung sind
nicht die Äußerlichkeiten der Formen, sondern
die geistigen Realitäten, die ihnen zugrunde liegen.
Sie sind es, die den Fortschritt verbürgen, sie stellen
das Reservoir an Kräften dar, aus dem alles bisherige
Mühen, Formen und Organisieren geschöpft hat und das
der Natur der Sache nach nie geleert werden kann.
Frankreich hat wohl das Empfinden einer Stilkrise und den

Ansatz zu neuen Formen. Aber es besitzt kein Reservoir
an vorwärtstreibenden Gedanken und Kräften.
Wie Kinder sieht man dort Fabrikanten und Künstler um
die gegenseitige Abgrenzung ihrer Kompetenzen zanken,
während der Käufer verwirrt und direktionslos dem Wirr-
war zuschaut. Die Behörden verharren gelassen, stumpf
und untätig, die Kritik plaudert sehr artig über die
Schwierigkeiten, besorgt, die Sätze hübsch zu feilen und die
Antithesen tadellos zu polieren. Aber den Kernpunkt
des Problems greift niemand an. Das Faubourg St. An-
tonie produziert unentwegt Louis XV. und Louis XVI.,
die Künstler spielen hie und da ein Stückchen auf der
Fanfare der Empörung, die Fabrikanten zucken darüber die
Achsel. Kein Wunder, wenn manche von schwärzestem
Pessimismus ergriffen werden, wie jener Direktor einer
der Handwerksschulen, der sich im Temps dahin ver-
nehmen läßt, daß weder die Nachahmung der alten Muster,
noch das Bemühen um gänzlich neue Formen, noch auch
der »piteux modern style« das Heil bringen könne . . .
»Ich soll Ihnen sagen, was ich denke, — offen und rück-
sichtslos? Nun, ich glaube, daß wir darauf verzichten
müssen, den Stil des zwanzigsten Jahrhunderts zu finden!
 
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