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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 23.1912

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Straumer, Heinrich: Tradition und Stil-Wiederholung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7710#0261

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XXlll. ]AHRGANG.

DARMSTADT.

JULI 1912.

TRADITION UND STIL-WIEDERHOLUNG.

von heinrich straumer-berlin.

Ohne Tradition ist eine gedeihliche Weiter-
entwicklung in Kunst und Handwerk nicht
denkbar. Soll die Kunst ein Ausdruck des Geistes
ihrer Zeit sein, so muß der Kunstschaffende
wissen, daß der Geist einer Zeit die Konsequenz
einer voraufgegangenen Entwicklung ist. Der
Charakter eines Volkes bildet sich in Jahrhun-
derten und eine echte Kunst wird nur die sein,
welche den Charakter des Volkes wiederspiegelt,
d. h. sie wird auch immer national sein. Wenn
deshalb jetzt von einem Wiederaufnehmen des
Fadens der Tradition, da, wo er vor der Periode
fremder Stilherrschaften abgerissen war, ge-
sprochen wird, so kann dies nur mit Befriedigung
erfüllen. Die Zeit unserer Großväter mit ihrer
schlichten einfachen Bauweise und ihrem echt-
bürgerlichen, anheimelnden Hausrat erscheint
wohl der Anknüpfung wert. Warum soll auch jene
Kunst unserer Väter nicht ebenso Anregung für
unser Schaffen geben, wie etwa die Kunst Eng-
lands? Es muß im Grunde dem Geschmack des
einzelnen überlassen bleiben, wo er seine stärksten
Inspirationen erlebt, und es wird nicht ein Mangel
sein können, sondern ein Vorzug, wenn eines
Künstlers Kraft im Boden des Vaterlandes wurzelt.

Vor allem bedarf auch das Handwerk der Tra-
dition: die Überlieferung der Erfahrung und der
Kunstfertigkeit von Werkstatt zu Werkstatt,
von Meister zu Meister kann uns allein den Nach-
wuchs eines geschulten Handwerkerstandes sichern,
wie wir ihn heute wieder benötigen. — Aber
was hat das mit gedankenlosem Kopieren
zu tun? Das gesamte Leben der Neuzeit hat neue
Bedingungen geschaffen und dem Handwerk sind
Maschinen, Techniken und Werkzeuge zur Seite
getreten, die notwendigerweise den Gegenständen
einen andern Ausdruck und andere Formen geben
müssen. Das gesamte Leben unserer Zeit hat seine
Energie verdoppelt und es entspricht einer folge-
richtigen Entwicklung, wenn die neuzeitlichen
Formen einen Ausdruck dieser gesteigerten Ener-
gie enthalten. Die Freude am selbständigen
Schaffen ist dem Künstler Lebenszweck und
nur der Schwächling wird einen Weg betreten, der
zurück führt und auf dem es keine gedeihliche
Fortentwicklung gibt. — Eine gesunde Tra-
dition kann nie mit bloßer Stilwiederho-
lung identisch sein! . . . Die alten Stile waren
gut, aber ihre Wiederholung wirkt tötlich ....
»Historische Stile zu kopieren ist unhistorisch.« h. s.

1!)12. VII. 1.
 
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