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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Personal- und Atelier-Nachrichten - Von Ausstellungen - Kunstlitteratur
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-^ö> KUNSTLITTERATUR -C2sä=^

denn Muther interpretiert die alten Meister und ihre
Werke auf eine so geistvolle und anregende Weise,
wie keiner vor ihm. Vielleicht geht er an einigen
Stellen mit seinen Bemühungen, vergleichende und
bezeichnende Momente aus der Gegenwart heran-
zuziehen, zu weit; aber der Zweck, den Leser in
ein wirkliches und meist auch richtiges Verhältnis
zur alten Kunst und ihren Meistern zu bringen, ist
ohne Zweifel erreicht. An dieser Thatsache kann
der aus den Kreisen der Wissenschaft gegen das
Muthersche Werk gerichtete Tadel nichts ändern,
und so wäre es wohl richtiger, dass auch von dieser
Stelle anerkannt würde, was anzuerkennen ist: Das
eminente Talent, das dazu gehört, dem tausendmal
behandelten Stoff neue Seiten abzugewinnen. Nie-
mand, der eingehendere Kenntnisse erlangen will,
wird sich auf diese Muthersche Geschichte be-
schränken. Die Gefahr, dass der Wissenschaft
Schaden zugefügt werden könnte, ist also gar nicht
vorhanden. Und eines hat diese Geschichte vor
den meisten anderen Kunstgeschichten voraus: Sie
hat litterarischen Wert. Man liest sie nicht nur leicht
und gern, sondern auch mit Genuss. Die Kunst,
mit der Muther die Stimmung der einzelnen Zeit-
alter zu schildern oder den Charakter einzelner
Künstler aus ihren Werken zu deuten weiss, ist
bewundernswert. Es giebt Stellen in seiner Ge-
schichte, die geradezu klassische Prägung haben
und die eine objektivere Zeit in diesem Sinne zu
würdigen wissen wird. Leider schliesst sie, mit dem
Mittelalter beginnend, mit dem deutschen Klassicis-
mus, mit Carstens, und es besteht wenig Hoffnung,
dass sie fortgesetzt wird.

Als ein Stück dieser Fortsetzung kann allerdings
das bei S. Fischer, Berlin, erschienene Buch Richard
Muthers ->Ein Jahrhundert französischer Malerei^
(Pr. gebd. 101 i M.) angesehen werden, das unter dem
Eindruck der Centennale auf der Pariser Weltausstel-
lung von 1900 entstanden ist. Auch in diesem Werke
zeigt Muther die für den Geschichtsschreiber grossen
Stils unerlässliche Begabung, zu konstruieren und
zu komponieren und die Geschehnisse geistig zu ver-
binden, wobei es natürlich nicht ohne gewisse Gewalt-
samkeiten abgeht. Man muss jedoch anerkennen,
dass die Aufgabe, das durcheinanderfliessende Leben
in Akte zu trennen und die dramatischen Höhepunkte
festzustellen und herauszuheben, im grossen und
ganzen ausgezeichnet gelöst ist. Nur in verein-
zelten Fällen können Einwendungen gemacht werden.
Sie entspringen aber beinahe ausschliesslich den
persönlichen Anschauungen solcher Leser, die mit
dem Gegenstande selbst sehr vertraut sind, bedeuten
also gegen das Buch selbst recht wenig und dürfen
daher nicht zum Ausgangspunkt für dessen Be-
urteilung genommen werden. Vielmehr sollte zuge-
geben werden, dass es keine geringe That war, den
Riesenstoff, dem die Mehrzahl der Fachleute mit
noch durchaus nicht klaren Empfindungen und Ur-
teilen gegenübersteht, so zu gliedern, dass die Er-
kenntnis ihn erfassen kann. Es ist sicher, dass jetzt,
nachdem das Muthersche Buch da ist, auch ein
mässig begabter Fachmann eine einwandsfreiere Ge-
schichte der neueren französischen Malerei liefern
könnte; weil er die von Muther gemachten Fehler
vermeiden würde; aber damit wird nichts gegen
dessen Geschichte bewiesen. Wer in Deutschland

w

LOUIS EUGENE BOUDIN RÜCKKEHR DER FISCHERBOOTE
(Münchener Glaspalast 1901: Französische Abteilung)

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