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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Floerke, Gustav: Wie urteilte Böcklin über moderne Malerei?
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0096

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«^35> WIE URTEILTE BÖCKLIN ÜBER MODERNE MALEREI? -C^^-

Nur auf eine gewisse Entfernung kann
man eine Sache richtig übersehen, kann eine
Landschaft Eindruck machen, malerisch wirken.
Aber die Tiftler vergessen den Baum über
seinen Blättern und morden den Wald durch
Bäume. Wen die Blattform an sich interessiert,
der mag Herbarien wälzen, aber nicht Bilder
malen: die interessieren ihn ja nicht.
Die Böcklinsche Kunst mit ihrer Verachtung
aller Pariserei etc. ist keine Einseitigkeit.
Das Zusammenstellen und frappierend Hin-
pimpeln von netten Einzelheiten, die mit
Gedanken und Vorgang nichts Notwendiges
zu thun haben, die Richtigkeit von Kostümen
und Uniformen, kurz die ganze akademische
und sonstige Korrektheit, ferner das Motiv
an sich, seine Tendenz, das Pathos, der Witz,
die Erzählung, das Drama, das sogen. Kolorit,
(wenn es Manier ist und nicht jedesmal mit dem
Bildgedanken selbst geboren und gross wird),
das alles, und was man sonst heutzutage noch
lernen kann, hat mit der Kunst ja herzlich
wenig zu thun; die Wahrheit des künstlerisch
Geschauten steht auf der Leinwand nicht als
ein Additionsexempel (welches wohl Kenntnis
aber keine Empfindung bewirken kann). Wir
verlangen in der überzeugenden Wesenheit
einer auf uns übertragenen künstlerischen
Anschauung vielmehr Empfindung, den be-
sonderen Fall und den individuell Anschauen-
den zu verstehen.

Das wirklich Wertvolle in dem Streben
der „Neuesten" ist nicht ihre Hellblaumalerei,
ihre „Natur", sondern ihre unerbittliche
Stellungnahme gegen jeden Schlendrian in
der Malerei.
Eine breite Luftwelle weht daher, die vieles
Alte mit sich reisst und — und das wird sie
am besten im Innern rechtfertigen — Arnold
Böcklin an die Spitze trägt. Unter dieser
Flagge kann man die unvergorene Begeiste-
rung der Impressionisten völlig willkommen
heissen.
Eine Menge Jugend die überall das
Recht ihrer Kraft hat - muss man auch
immer wieder in Betracht ziehen.
(Notiz anlässlich der Münchener Ausstellung 1888)
„Wer in die Kunst Tendenz bringt, der
ist eben kein Künstler", sagt Böcklin.
* *

Wir haben nicht zu viel, sondern zu wenig
Ueberlieferung in Deutschland. Beweis schon
die Abhängigkeit von Paris, dessen jeweilige

Modekrankheiten wir unbesehens begeistert
nachmachen. Beweis ferner der Mangel an
irgendwelchem historischen Sinn bei unsern
meisten Malern und der naive Stolz darauf.
(Notiz anlässlich der Münchener Ausstellung 1888)

Ausstellungen: „Ja dies Ausstellungswesen!
Es wäre leicht dafür zu malen! Aber es bringt
um, wie der „Salon" die Franzosen umgebracht
hat. Jeder fragt sich bloss: was wirkt und
dahin geht die ganze Rechnung. Besonders,
was wirkt von weitem — dieser oder jener un-
gewöhnliche perspektivische Witz, sagen wir
mal, eine Untersicht oder Aufsicht, ein nicht
im Bilde vorhandener Horizont, eine Zickzack-
perspektive etc. Stärkeres zu finden ist der
künstlerische Zweck geworden. Das Elend,
was da entsteht, sieht man." Böcklin will auch
im halbdunkeln Zimmer wirken, wie er's beab-
sichtigt. Licht vortragen, aber nicht nötig haben!

„Wozu über Bilder schreiben? Die sprechen
für sich selbst."
* *
„Bei nichts braucht man so wenig zu denken,
wie beim Aktzeichnen", sagt Böcklin.

„Nach allen Regeln der Kunst" sagt jemand
wie sprichwörtlich. — Als ob es Regeln gäbe!

Der richtige Abstand von einem Bild ist
nach Böcklin die doppelte Länge desselben.

Es kommt stets nur auf das Unterscheidende
(also Sprechende, Verdeutlichende) an in der
Kunst, nicht auf das Gemeinsame.

Das ist ja gerade das Grosse in der Kunst,
das Unendliche, dass jeder das Wichtige wo
anders findet. Es giebt Gott sei Dank, nicht
eine Lösung für Jedes, wie Böcklin meint.

Wer von der Natur abgeht, muss freilich be-
weisen, dass er das künstlerisch nötig hatte,
um sich deutlich zu machen.

Die Kunst ist auch eine Glaubenssache,
könnte man vor Böcklinschen Bildern sagen.

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