Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

DOI Artikel:
Die Münchener Canalettos
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0145

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-*^g> DIE MUNCHENER CANALETTOS -CÖ£=^

leicht einsehen, warum von dem ursprüng-
lichen und eigensten Reiz dieser so einfach
erscheinenden, so klar disponierten Schöpf-
ungen so wenig in einer verkleinerten Schwarz-
Weiss-Reproduktion erhalten bleiben kann.
Das Geheimnis ihrer Wirkung, das Beson-
dere im Wesen des Malers liegt darin, dass
der jüngere Canaletto ein grosser Raum-
künstler ist. Man darf bei dieser Charak-
teristik das Wort „Raumkünstler" in seiner
doppelten Bedeutung nehmen: der Umfang
all der grösseren Gemälde Beiottos, den des
Kabinettstückes beträchtlich überschreitend,
hinter dem des Galeriestückes weit zurück-
bleibend, zeigt, dass sie ganz speziell als
Raumschmuck gedacht waren, als Zierden
jener stattlichen, schön proportionierten
Rokoko-Räume, in denen das Leben der feinen
Gesellschaft voll Würde und Anmut sich
bewegte. Raumschmückend aber kann ein
Gemälde nur dann wirken, wenn es — neben
und über dem dekorativen Wert der Farbe -
raumbildende Faktoren besitzt, wenn es den
Eindruck eines wohlgegliederten, klar sich
vertiefenden Raumgebildes hervorruft. So
schmückte Canaletto die Räume, für die seine
Werke bestimmt waren, indem er diese selbst
nach jenen, wenigstens mit dem schöpferischen
Instinkt sicher erkannten Prinzipien künst-
lerischer Raumgestaltung schuf, die das Auge
des Beschauers zwingen, das in die Fläche
gebannte Bild als ein auch in die Tiefe sich
erstreckendes, als dreidimensionales Gebilde
nachzuempfinden und anzuerkennen. Man
denke sich die Münchener Stadtansicht in ihrer
wirklichen Grösse und man wird erst ganz
sich bewusst werden, wie meisterhaft die
Komposition ist, dank dem ganz in den Vor-
dergrund gestellten massigen Thorgebäude,
dessen Wucht, so anmutig sich auflösend in
den steinernen Pfeilern und Bögen rechts,
in dem hübschen Schlösschen links weiter
zurück, das Gleichgewicht hält zu der Masse
des eigentlichen Stadtprospektes, der sich
über die rechts noch bleibenden zwei Drittel
der Bildfläche hindehnt. Oder wie z. B. die
schwere Gruppe, die durch die Frauenkirche
und die um sie gedrängten anderen Kirchen
der inneren Stadt entsteht, nach dem Mittel-
und Vordergrund zu gestützt wird durch das
an sich kleine, auf der Leinwand genau die
Breite der Frauenkirche einnehmende, ein-
stöckige Häuschen, das auf der heutigen
„Kalk-Insel" direkt am Ufer steht, sich im
Wasser spiegelnd. — Auch bei den Nymphen-
burger Bildern ist es lohnend, sich die Kom-
position näher anzusehen: um eine strenge
Symmetrie zu vermeiden, die der Künstler -

seine Ansicht des Dresdner Zwingerhofes
beweist es — durchaus nicht fürchtete, son-
dern sehr geistreich zu behandeln wusste,
die aber hier ganz trostlos hätte wirken
müssen —, hat Canaletto beide Male seinen
Standpunkt so gewählt, dass die Mittelaxe
des Schlosses die Breite der Bildfläche im
Verhältnis von eins zu zwei zerlegt; und
zwar liegt der ideale Teilpunkt auf dem einen
Bild (Ansicht von der Stadtseite) auf der
rechten, bei dem andern (Ansicht von der
Parkseite) auf der linken Seite der Kompo-
sition. Um den Eindruck der Ebene, der ja
für die Lage der Stadt, wie des Lustschlosses
charakteristisch ist, in aller Entschiedenheit
zu vermitteln, ist auf allen drei Gemälden dem
Himmel die ganze obere Hälfte der Bildfläche
gegeben worden.
Und welcher Reichtum zarten Farbenspiels
in diesen Himmeln mit ihrer warmen Luft,
ihren weichen, grossen Wolkengebilden! es ist
freilich doch wohl mehr die weiche Milde des
venezianischen, als die herbe leuchtende Klar-
heit des Münchner Himmels; aber wer möchte
dem Italiener zürnen, wenn er sich so über
der festen Erde des fremden Nordens noch
einmal den Aether der alten Heimat träumt!
Und ist doch hier der Grundaccord für die
Farbenharmonie angeschlagen, die in vor-
nehmer Gedämpftheit und freudiger Gesund-
heit zugleich dem durch die Komposition so
sicher und fest umrissenen Bild der Wirk-
lichkeit erst Blut und Atem giebt.
Aber auch der Staffage muss mit einem
Wort gedacht werden: ob nun terminierende
Mönche, andächtige Beter, zerlumpte Bettler,
behäbige Reiter und spielende Kinder vor
den Thoren der frommen, damals noch halb
ländlichen Stadt ihr Wesen treiben, ob Luxus-
gondeln und Prachtkarossen, Damen in riesi-
gen Krinolinen und Hofherren in gestickten
Fräcken die Kanäle und Alleen des Lust-
schlosses beleben, immer sind die Figuren
sinnvoll herausgegriffen, sicher ins Ganze
hineingestellt; und in dem kernigen, oft humor-
vollen Realismus der Beobachtung erinnern
sie manchmal (man sehe sich darauf auch
besonders die Bilder von Dresden und vom
Sonnenstein an) in frappanter Weise an jene
gleichzeitigen Schöpfungen der italienischen
Kleinplastik, die in der kostbaren Schmederer-
schen Krippensammlung des Bayerischen
Nationalmuseums vereinigt sind.
- jDen Reproduktionen der drei Münchner
Canalettos stellen wir noch solche nach einigen
der schönsten Bilder in Dresden zur Seite,
zu besserer Beleuchtung der soeben hervor-
gehobenen Züge. Meisterstücke in macht-

132
 
Annotationen