Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

DOI Artikel:
Weizsäcker, Heinrich: Karl von Pidoll
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0160

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-sr-£^> KARL VON PIDOLL

gang. Bis 1882 und später noch einmal eine
längere Frist von 1884 auf 1885 stand er in
Rom in nahem freundschaftlichem Verkehr
mit dem seltenen Manne, dem er in seinen
künstlerischen Aspirationen so nahe trat, dass
er, unbeschadet der individuellen Ausgestal-
tung, die er seiner eigenen Persönlichkeit zu
geben gewusst hat, als einer von dessen intim-
sten Schülern, ja in gewissem Sinne als der
Fortführer von dessen-Lebenswerk und sicher
als der erfolgreichste Interpret seiner künstle-
rischen Grundanschauungen bezeichnet werden
darf.
Marees befand sich in den Jahren, in denen
Pidoll seinen Unterricht genoss, in dem glück-
lichsten Stadium seiner Entwicklung. In ge-
wissem Sinne hat noch jeder künstlerische
Charakter von solcher Bestimmtheit und Ori-
ginalität, wie er es war, mit der Kunst von
vorne anfangen müssen, und wenn so etwas
in jeder einzelnen Persönlichkeit selten auf
andere Weise möglich ist, als durch die Ueber-
windung starker innerer Krisen, so hat auch
Marees nicht zu denen gehört, denen die
Reibungswiderstände der eigenen Natur er-
spart geblieben wären. Damals aber hatte er
sich zu einer festen und geklärten Lebens-
und Kunstform hindurchgerungen, er selbst
war sich dessen bewusst geworden, und nicht
anders erschien er den ihm Näherstehenden.
Es ist ein für immer unersetzlicher Verlust,
den uns Marees dadurch bereitet hat, dass er,
wie noch Adolf Bayersdorfer des öfteren er-
zählt hat, in der letzten Phase der todbrin-
genden Gehirnerkrankung, der er zum Opfer
wurde, die reifsten und mit Schönheit förmlich
gesättigten Werke seiner Hand derart entstellt
hat, dass uns gerade in den wichtigsten Sachen,
auch in einem Teile der in Schieissheim auf-
bewahrten, weit mehr vom Zerstörungswerk
des Kranken, als vom Werk des Künstlers
selbst vor Augen steht. In manchem Betracht
würde uns der Schlüssel zum Verständnis
dieses Künstlers fehlen ohne die feinsinnige
Schilderung seiner Persönlichkeit, die wir
Konrad Fiedler verdanken, noch mehr aber
müssten wir Fernerstehenden auf eine eigent-
liche Kenntnis seines Wollens und Wirkens
Verzicht leisten, hätte uns nicht v. Pidoll die
bald nach Marees Tode niedergeschriebene
Studie „Aus der Werkstatt eines Künstlers"
hinterlassen, Erinnerungen, die auf jahrelang
gesammelter Erfahrung fussend, den klarsten
Einblick in die geistige Welt gewähren, aus
der jene Schöpfungen hervorgegangen sind.
Eine Darstellung der Art kann niemand
geben, ohne dass sich darin zugleich etwas
von seinem eigenen Wesen offenbarte. So

geben die „Erinnerungen" an Marees zugleich
das beste Mittel an die Hand, um auch
v. Pidolls künstlerische Absichten zu erkennen.
Gesprächsweise hat dieser vor Jahren einmal
die Aeusserung gethan, dem Künstler stünden
verschiedene Möglichkeiten zur Wiedergabe
der in ihm wohnenden Vorstellungen von der
Aussenwelt offen, je nachdem er darin naiv
oder reflektierend zu Werke gehe. Gewiss sei
ihm, dass Künstler, wie der jüngere Holbein
oder wie Quinten Massys nicht ohne ein ge-
wisses verstandesmässiges Raisonnement sich
ihres Gegenstandes zu bemächtigen pflegten,
einem Velazquez traue er zu, dass er ganz
naiv gearbeitet habe. Aber Marees habe
entschieden zu den reflexiven Naturen gehört
und er für seine Person fühle, dass auch er
eine solche sei. Man hätte ihn nicht treffender
charakterisieren können, als er selbst mit
diesem Ausspruch gethan hat. Seiner geistigen
Art genügte die naive künstlerische Natur-
betrachtung so wenig, dass ihn geradezu die
hier gepflegte praktische Uebung zur theoretisch-
wissenschaftlichen Spekulation, zur Philosophie
hinüberleitete, in der ihn wiederum die Er-
kenntnistheorie und zwar, nachdem er Kant
und Schopenhauer hinter sich gelassen hatte,
die moderne, durch Avenarius vertretene
„Kritik der reinen Erfahrung" vorzugsweise
beschäftigte. Ein solcher Geist musste sich
auf künstlerischem Gebiete von den Marees-
schen Doktrinen natürlicherweise ergriffen
fühlen, von der Folgerichtigkeit, mit der hier
Bild auf Bild aus einem Schatze innerer An-
schauung entwickelt wird, von der zielbe-
wussten Empirie, in welcher die Elemente
der natürlichen Erscheinung wie der indivi-
duellen Formvorstellung zum künstlerischen
Gebildetem Prozess eines natürlichen Wachs-
tums vergleichbar, zusammenfliessen. Die
formale Bedingtheit aller natürlichen Erschei-
nung nachgewiesen und sie in einer von Zu-
fälligkeiten so gut wie von willkürlich er-
sonnenen Schulregeln freien Gesetzmässig-
keit dargestellt zu haben, war ja hier der
Inbegriff aller künstlerischen Thätigkeit.
Wie für Marees, so galt auch für Pidoll
der menschliche Organismus in seiner, aller
anderen Kreatur überlegenen, beziehungs-
reichen Anlage als der vornehmste Gegen-
stand der Darstellung. Und wie jener war
er unablässig bedacht, einen elementaren
Menschheitstypus zu formen, in dem sich
zugleich ein Vollkommenes an körperlicher
Erscheinung darstellen sollte, unangegriffen
und unaufgerieben vom Kampf und von dem
Frondienst des alltäglichen Daseins, ein
ewig junges, ewig heiteres, ewig schönes

146
 
Annotationen