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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Lange, Konrad von: Die Freiheit der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0209

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-^£> DIE FREIHEIT DER KUNST <2sä^

entschädigen. Das wäre ein schöner mensch-
licher Zug, den man ihm hoch anrechnen
dürfte. Leider war aber dieses Lob mit
einem heftigen Angriff auf die moderne Kunst
im allgemeinen verbunden, gegen den die
Freunde der letzteren in aller Ehrfurcht pro-
testieren müssen. Der Kaiser wirft unseren
modernen Künstlern Schrankenlosigkeit und
Selbstüberhebung vor, tadelt an ihren Werken,
dass sie das Elend noch scheusslicher dar-
stellten, als es schon sei, und behauptet, dass
sie sich zur Reklame erniedrigten, um ihre
Ideen in den Vordergrund zu schieben, ja so-
gar, dass sie „in den Rinnstein herabstiegen".
Da helfe nur eines, nämlich Rückkehr zu den
Idealen der Antike, die das neueröffnete
Pergamon-Museum uns jetzt in so glänzender
Weise vor Augen stelle.
Allein schon diese Charakteristik zeigt, dass
der Kaiser mit der modernen Kunst nur einen
verschwindend kleinen Teil derselben gemeint
haben kann, nämlich eine gewisse porno-
graphische Erzählerlitteratur der achtziger
Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, deren
Schweinereien niemals in der Plastik und
Malerei Eingang gefunden haben und auch
in der Litteratur Gott sei Dank längst über-
wunden sind. Im ganzen kann man gewiss
nicht sagen, dass die moderne Kunst lasciver
sei als die der Praxiteles, Correggio, W. Kaul-
bach u. s. w.
Wenn man vielmehr als Aesthetiker Bei-
spiele einer obscönen oder sinnlichen Dar-
stellung in der bildenden Kunst braucht, so
muss man noch immer zu der vom Kaiser
so sehr verehrten Antike und Renaissance
greifen. Ich wenigstens wüsste nichts aus
der modernen Litteratur, was sich mit den
obscönen Zweideutigkeiten des Herondas, eines
Zeitgenossen der pergamenischen Künstler oder
gewisser italienischer Lustspiele des sech-
zehnten Jahrhunderts, vergleichen Hesse, und
gegen die Darstellungen einzelner pompejani-
scher Wandgemälde und der Skulpturen des
Cabinet secret im Neapeler Museum ist alles,
was die moderne Kunst an Nuditäten hervor-
gebracht hat, harmloses Kinderspiel. Es ist
eben nichts leichter, als sich einerseits ein
Ideal der Antike zurecht zu machen, bei dem
alles Anstössige, das die Alten geschaffen
haben, sorgfältig ausgeschieden ist, und sich
anderseits einen Typus der Moderne zu kon-
struieren, bei dem nur das Verfehlte und
Anstössige eine Rolle spielt, während alles
Anständige, Ernste und Tiefe beiseite ge-
lassen wird.
Aber vielleicht meint der Kaiser mit dem
Herabsteigen in den Rinnstein gar nicht die

obscöne Kunst, sondern die Schilderung des
Elends, die Armeleutemalerei, das sozialisti-
sche Drama u. s. w. Nun, dann müssten sich
unsere modernen Künstler erst recht dagegen
verwahren, dass es als ein Herabsteigen in
den Rinnstein bezeichnet wird, wenn sie das
Volk nicht nur, wie es ihre Vorgänger thaten,
bei seinen Freuden, sondern auch bei seiner
Arbeit und seinen Leiden aufsuchen. Denn
diese Arbeit und diese Leiden sind nun ein-
mal auf der Welt und wenn der Kaiser selbst
bei Beginn der sozialen Gesetzgebung er-
klärt hat, sie nach Kräften lindern zu wollen,
so wird es wohl den Malern erlaubt sein, sie
der Wirklichkeit entsprechend zu schildern.
Und zwar umsomehr, als gerade die moderne
Kunst geflissentlich auf jede Tendenz, also
auch auf jede sozialistische verzichtet. Man
wird auch keinen wesentlichen Unterschied
in der Art erkennen, wie Menzel die Arbeiter
seines Walzwerkes geschildert hat und wie
Liebermann seine Fabrikarbeiterinnen, Graf
Kalckreuth seine Bäuerinnen, Meunier seine
Bergarbeiter schildert. Der Unterschied ist
ein künstlerischer, kein inhaltlicher.
Man hat des Kaisers Abneigung gegen
die moderne Kunst daraus erklären wollen,
dass er schon in der Jugend durch die Atmo-
sphäre seines Elternhauses einseitig auf die
Antike und Renaissance hingedrängt worden
sei. Aber ein zweites mindestens ebenso
wichtiges Moment ist gewiss die an sich ja
berechtigte Abneigung gegen die Sozialdemo-
kratie. Und es wäre bei der herrschenden
Verwirrung der ästhetischen Begriffe, bei der
fortwährenden Vermischung von Kunst und
Leben, wie sie in der gegenwärtigen Kunst-
kritik und Aesthetik herrscht, durchaus nicht
wunderbar, wenn der Kaiser wie so viele
Aristokraten den Fortschritt der Kunst mit
argwöhnischen Blicken betrachtete, weil er
ihn in gewisser Weise mit den politischen
Fortschrittsbestrebungen identifizierte.
Ja, ich würde mich nicht darüber wundern,
wenn ihm von reaktionärer Seite eingeredet
würde, Künstler, die mit Vorliebe arme Leute
oder gar Arbeiter darstellten, seien selbst nichts
anderes als verkappte Sozialdemokraten. Sonst
wüsste ich wirklich nicht, wie man der Kunst
eines Leibi und Böcklin, eines Uhde und Thoma,
eines Kalckreuth und Liebermann, eines Klinger
und Meunier vorwerfen könnte, sie stiege in
den Rinnstein herab.
Der gute Wille des Kaisers ist ja nicht
zu bezweifeln, und was er von der Ver-
breitung der Kunst unter dem Volke sagt,
sind goldene Worte, die gerade die Modernen
aus vollem Herzen unterschreiben können.

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