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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Tschudi, Hugo von: Die Werke Arnold Böcklins in der Kgl. Nationalgalerie zu Berlin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0280

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^»fis5> BÖCKLIN IN DER NATIONALGALERIE <S^-

liche Schrulle abgelehnt, wurde dieses Motiv
von den späteren Malern, die dessen ausser-
ordentliche, raumbildende Kraft wohl er-
kannten, mit Vorliebe verwertet. Ein durch-
aus Böcklinsches Mittel der Raumsuggestion
ist noch, wie ganz links zwischen der Haus-
wand und dem dunklen Strauch ein paar rot-
blühende Mandelzweige in die Luft ragen und
mit einem Male die Villenterrasse, auf der
Blütenbäume stehen, vor das Auge zaubern.
Unser Bild ist ein wahrhaft klassisches
Beispiel für den Stil von Böcklins Florentiner
Periode. Seine grosse dekorative Wirkung
beruht auf der sprechenden Silhouette, der
klaren Raumgliederung und den starken
Helligkeitskontrasten. Es ist ebenso bezeich-
nend für diese Periode, dass der Künstler
fast ganz auf die raumbildenden Mittel ver-
zichtet, die die pleinairistische Anschauung
der modernen Malerei an die Hand giebt. Mit
grosser Ueberlegung basiert er die perspek-
tivische Wirkung auf die Führung der Linien,
beinahe gar nicht aber auf die Abtönung der
Lokalfarben durch das Luftmedium. Trotzdem
bleibt es nicht minder merkwürdig, dass ein
Künstler, der ein so lebendiges und allezeit
bereites Wissen von der Substanz der Er-
scheinung hat, dem Wechsel gegenüber, den
diese Erscheinung unter bestimmten Beleuch-
tungen, unter der Einwirkung der Umgebung
erleidet, sich so gleichgültig verhalten kann.
Die grüne, mit kleinen Blümchen übersäte,
von einem plätschernden Bächlein durch-
schnittene Wiese ist voller Empfindung für
die Form, gewissermassen die Abstraktion
einer Wiese, aber in der hellen Frühlings-
luft, im Reflex der weissen Wolken würde sie
so in der Natur nimmermehr erscheinen. Wie
sich die weisse Rinde der Pappelstämme über
den treibenden Säften spannt, wie die Blätter-
knospen an den dünnen Zweigen schwellen,
das zeugt von einer ausserordentlichen Be-
obachtung, aber gar nicht beobachtet ist, dass
ein Baum anders erscheint, wenn er sich von
der dunklen Laubmasse abhebt oder wenn er
vor dem hellen Himmel steht. Böcklin han-
tiert hier, um mit Hildebrand zu reden, mehr
mit der Daseinsform der Gegenstände als mit
deren Wirkungsform. Es ist jetzt vielfach
Brauch, darin eine besondere Stärke der Böck-
linschen Kunst zu sehen und die Nase über
diejenigen zu rümpfen, die mit heissem Be-
mühen die farbige Erscheinung der Natur zu
fassen suchen. Aber Böcklin ist gross, trotz-
dem, nicht weil er darauf verzichtet. Es
wurde früher auf die äusseren Momente hin-
gewiesen, unter deren Einfluss seine Ge-

staltungsweise diese Richtung einschlug. Auch
innere Gründe lernten wir kennen, wie bei
den „Gefilden der Seligen", wo die poetische
Absicht eine über die Wirklichkeit hinaus-
gehende festliche Farbigkeit zu verlangen
schien. Bei unserer Landschaft aber fehlt
dieses Motiv. Gerade im Charakter einer
Frühlingsstimmung wäre die duftige Helle des
Freilichts durchaus gelegen gewesen. Man
vergleiche nur die dunkle ernste Lokalfarbig-
keit des „Frühlingstages" mit der lichten,
lustigen Luftigkeit der „Idealen Frühiings-
landschaft" und man wird nicht zweifeln, dass
hier das Wesen des Vorwurfs überzeugender
getroffen ist.
Aber für Böcklin selbst war die Ignorierung
des Freilichtproblems keineswegs der Weis-
heit letzter Schluss. Die Dunkelfarbigkeit
der Florentiner Periode ist nur eine Episode
in seiner Entwicklung. Ziemlich genau mit
der Uebersiedlung nach Zürich trifft die Wen-
dung zu einem lichten Kolorismus zusammen.
Die landschaftlichen Hintergründe werden
immer klarer und silbertöniger und in einem
Bild, wie die „Gartenlaube" (Abb. XVI. Jahrg.
S. 269) malt er wieder, wie in dem frühen „Pan
im Schilf" Sonnenflecken, die luftige Schatten
durchleuchten. Es ist interessant zu beob-
achten, wie sich seine pleinairistisch werdende
Farbigkeit zusehends dem farbiger werdenden
Pleinair nähert. Ja, in seinem letzten Bild,
der wundersamen „Pest", die als sensenschwin-
gendes Totengerippe auf einem fledermaus-
flügeligen Drachen durch die Gasse schwebt,
ist eine besonnte Häuserreihe zu sehen, die an
malerischer Qualität unmittelbar an Manet ge-
mahnt. Freilich mangelt es auch hier, wie
sonst, nicht an koloristischen Knalleffekten,
die zwar die malerische Harmonie zerreissen,
aber in ihrer wilden Dissonanz den tiefen
Sinn der Sache blitzartig erleuchten.
Werke dieser letzten Zeit fehlen bisher in der
Nationalgalerie. Das ist schade, denn wie alle
wahrhaft grossen Maler, wie Titian und Rem-
brandt, wurde Böcklin im Alter nicht schwächer,
sondern stärker. Immer freier und stolzer er-
hebt sich seine Persönlichkeit. Mit einer gran-
diosen Souveränität, die alles Konventionelle
tief unter sich lässt, gestaltet er Werke von
einer ungeahnten Wucht des Ausdrucks.

VOLKSKUNST
Wollt nicht allzuverständlich sein,
Macht euch nicht gar zu schlicht und klein!
Denn das Volk liebt, wie das Kind,
Dinge, die ihm unfasslich sind.
A. Stier

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