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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Stroever, J.; Neumann, Ernst; Esswein, Hermann: Zum Thema "Kombinationsdrucke" - Zwei Entgegnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0495

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^32> ZUM THEMA „KOMBINATIONSDRUCKE"
gegriffen werden, oder ex nihilo entstehen. Ist"u kommene Gelegenheit, vor einem erstaunten Publi-
alles Neue doch stets nur das fortentwickelte Alte, j^kum die Taschenspielerstückchen ihrer geistlosen
und heisst Neues schaffen doch wohl nichts anderes, < • und künstlerisch-unfähigen Routiniertheit glänzen zu
als Altes unter neuen Gesichtspunkten betrachten, S lassen. Doch dieser Uebelstand war von je Be-
alte Elemente zu einander in neue Beziehungen ■).' gleiterscheinung jeder aufwärts gerichteten Kunst-
bringen, heisst kurz gesagt: Kombinieren. Die 'jEntwicklung. Man sollte aber bedenken, dass zur
moderne Litteratur bietet für diese Anschauung eine ■ Ablehnung eines neuen künstlerischen Prinzips
Menge treffender Beispiele. Sie »zerfällt« nicht mehr, keineswegs die Thatsache genügt, dass dasselbe vom
wie es die geistlose Rubriziersucht gelehrter Diur- dilettierenden Snob und vom technischen Faiseur
nisten von den früheren Litteraturen behauptet, in missbraucht wird.
Epik, Lyrik, Didaktik etc., sondern jedes technische Bei der Bewertung jeder neuen Methode künst-
Mittel innerhalb eines und desselben Werkes ist lerischen Schaffens hat man sich vor allem die
ihr willkommen. Sie will beeindrucken, suggerieren, Frage vorzulegen: »Was kann sie in der Hand des
ins Leben wirken und sie fragt nicht darnach, in Meisters leisten?«
welche Haupt- und Unterabteilungen sie von einer Vom Meister, — und nur mit seinen Leistungen
späteren Litteraturforschung mag eingeschachtelt hat die Kunstbetrachtung zu rechnen, nicht mit
werden. denen des Schülers oder des Stümpers — vom
Ist es notwendig oder vernünftig, darüber zu vollwertigen Könner ist anzunehmen, dass er in
jammern, dass für alte, unzeitgemässe Kunstformen jeder der ihm zu Gebote stehenden Techniken das
die letzte Stunde geschlagen hat? Sie sind zu alt, Vollkommenste zu leisten im stände ist. Treten
zu brüchig, um in sich aufzunehmen, was durch sie an ihn nun Aufgaben heran, die sich besser durch
ans Licht will: Die neue Kunst einer neuen Zeit. eine Kombination mehrerer technischer Verfahren,
Die Kunst einer Zeit, die ihre Schienenstränge durch als in einer einzigen Technik bewältigen lassen, die
Wüsten legt, Ozeane miteinander verbindet, ihre dazu ihre äusserste Ausdrucksfähigkeit aufbieten
hastig-funkelnden Telephondrähte ausspannt über müsste, so besteht nicht der geringste Anlass, den
einem Verkehr, einem Leben, dessen gelle Stimme Könner beirren zu wollen. Im Gegenteil, die Ver-
selbst Schwerhörige als den Kampfruf eines neuen Wendung kombinierter Techniken scheint uns ein
Gedankens erkennen müssen. vortreffliches Schutzmittel gegen die Gefahr des
So wenig man neue Maschinen dadurch erfindet, Manierismus, wie er bereits in gewissen Richtungen
dass man die bereits vorhandenen gründlich kennt der modernen Radierkunst so deutlich zu Tage tritt,
und nach ihren verschiedenen Arten säuberlich zu Wir geben Fräulein Plehn und ihren Ausführungen
klassifizieren vermag, genau so wenig schafft man Recht, sobald sie uns an den Werken irgend eines
neue künstlerische Ausdrucksformen, die uns so modernen Graphikers, den sie als vollwertigen
dringend notthun, dadurch, dass man in die her- Künstler anerkennt, nachzuweisen vermag, dass
gebrachten Formen mit Gewalt einen Geist zu pressen diese Werke, soweit sie ihre Entstehung kombinierten
sucht, für den diese Gefässe nun und nimmer stark Techniken verdanken, mittelst einer einzigen Technik
genug sind. vollkommener hätten gegeben werden können.
Dergleichen Prokrustesthaten haben so viele Wir glauben, dieser Nachweis dürfte schwer zu
moderne Bücher und Bilder stillos gemacht, denn erbringen sein, denn unsere Bahnbrecher auf dem
Form und Inhalt decken sich nur bei solchen Kunst- Gebiete der modernen Graphik wissen genau was
werken, deren Geist sich seine Form selbst er- sie wollen und würden der noch ziemlich in ihren
schaffen. Anfängen ruhenden Sache der Kombinationsdrucke
Auch zur Graphik führte den bildenden Künstler kaum ihre Kraft und Zeit opfern, wenn sie sich
nur sein moderner Instinkt. Sie giebt ihm bereit- von ihr nicht mehr zu versprechen hätten, als eine
willig alles, was ihm die Oelmalerei und in noch Blosstellung ihres technischen Unvermögens,
höherem Masse die Plastik verweigerten. Sie zwingt Für Mittel und Wege, die zum Ziele führen, hat
ihn zu einer höchst fruchtbaren Konzentration, fühlt der Künstler sehr feine Organe. Man lasse ihn
ihn auf Grund ihrer technischen Eigenart zu einer gewähren.
präzisen, epigrammatisch - scharfen Formulierung Man hat hoffentlich den Eindruck gewonnen,
seines künstlerischen Gedankens. Ihre nahen Be- dass uns diese Entgegnung auf einen Aufsatz, dem
Ziehungen zur modernen Industrie (Plakat etc.), die wir für die uns gewordene Anregung dankbar sind,
unbegrenzte Reproduktionsfähigkeit, die sie gestattet, von einem idealeren Agens diktiert wurde, als von
geben dem Künstler die Möglichkeit, zu wirken, jenem sterilen Widerspruchsgeiste, der sich in leider
entreissen ihn der sterilen Vereinsamung, in der nur zu vielen der heutigen Kunstdebatten äussert,
er sich, ohne moderne Ausdrucksmittel, in unserer Die auf dem Gebiete der Kunstbetrachtung heute
Zeit der Elektrizität und der sozialen Probleme nur herrschende Begriffsverwirrung soll nicht gesteigert,
wie ein tragikomischer Anachronismus empfinden sondern gemindert werden. Darum unterlassen wir
könnte. mit Absicht ein näheres Eingehen auf vieles, was
Seien wir daher der jungen graphischen Bewegung uns in dem beregten Aufsatze als falsch und irre-
dankbar, anstatt ihren tastenden Versuchen von vorn führend erscheint.
herein mit Misstrauen zu begegnen. Nicht um eine Der Leserkreis der »Kunst für Alle und der >Kunst;
kleine technische Meinungsverschiedenheit handelt zählt mit zu dem Publikum, aus dessen Händen der
es sich, sondern um eine bedeutungsvolle Kultur- moderne Künstler seine Zukunft, die Anerkennung,
frage: Die Graphik zeigt uns die Wege, auf denen den Lohn seines harten und mühevollen Ringens em-
Geist und Leben nach langer Trennung einander pfangen wird. In diesen Kreisen sollte kein Miss-
wieder nahen können. Stören wir also unsere trauen gesät werden, hier sollten am allerwenigsten
Graphiker nicht in Bestrebungen, die darauf abzielen, reaktionäre Anschauungen zu Wort kommen, auch
ihrer Kunst neue Ausdrucksmittel und damit neue wenn sie noch so ehrlich gemeint sind.
Kraft zuzuführen. Kombinierte graphische Verfahren München Ernst Neumann u. Hermann Esswein
mögen Stümper und Dilettanten zu geschmacklosen
Ausschreitungen veranlassen, sie mögen ferner, wie
auch Fräulein Plehn sehr richtig erkannt hat, den -
technischen Virtuosen weiter nichts sein, als eine will-

üie Kunst für Alle XVII.

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