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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Pascent, E. N.: Die Sommer-Ausstellung der Münchener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0513

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latliche Museen



E D.MOND AM AN-JE AN DER FÄCHER
Sommer-Ausstellung der Münchener Secession

DIE SOMMER-AUSSTELLUNG DER MUNCHENER SECESSION

Uns armen vielgeplagten Kunstkritikern däm-
mert das Morgenrot einer besseren Zeit
— einer Zeit, da wir überflüssig geworden
sind! Unter den Künstlern ist eine Bewegung
entstanden, die darauf hinausläuft, die Kunst-
kritik abzuschaffen. Aehnliches soll zwar schon
öfter an Künstlerstammtischen verhandelt
worden sein, aber jetzt wird es Ernst mit der
Sache. Es liegt ein positiver Vorschlag vor,
wie dem Uebel gründlich abzuhelfen sei. Der
Vorschlag ist sehr empfehlenswert. Jeder
Künstler schreibt zu jedem seiner Bilder, die
auf die Ausstellung kommen, eine Selbstan-
zeige, was er mit seinem Werke gewollt und
gemeint habe; diese Selbstanzeigen werden
dann gesammelt und als Ausstellungskatalog
herausgegeben. So ein Katalog, in dem dann etwa
zweitausend Bilder und fünfhundertSkulpturen
nicht nur dem Namen nach, sondern auch
mit einer Charakteristik ihrer wahren Bedeu-
tung für Mit- und Nachwelt aufgeführt sind,
wird dann freilich ein wenig unhandlich sein;
aber diesen kleinen Nachteil wird das Publi-
kum gern in den Kauf nehmen, wenn es dann
nur nicht mehr die Kritiken in der Tages-
presse zu lesen braucht, in denen doch nur
alles heruntergerissen wurde, und wenn es
statt dessen aus seinem Katalog erfährt, dass

jedes der zweitausend Gemälde, jede der fünf-
hundert Skulpturen eine ehrliche, ernstge-
meinte, höchst preiswerte Arbeit ist. Infolge
dieser, durch ihre offenkundige Objektivität
das beste Vertrauen erweckenden Empfehlungen
wird dann auch die Kauflust der annoch so
knauserigen Kunstfreunde beträchtlich wach-
sen ; schon vier Wochen nach Beginn einer
Ausstellung wird am Eingangsthor ein Plakat
mit der Inschrift „Ausverkauft" prangen, und
jeder Künstler wird dann Sonntags sein Huhn
im Topf und alltäglich sein Automobil im
Stall haben. Und in vierzig Jahren einmal
wird der Herr Professor und Kunstmaler X.
— der heuer vielleicht sein erstes Bild aus-
gestellt hat — im Pelzmantel als wohlbestallter
Malerfürst mit einem Bewunderer über die
Strasse gehen und auf einen alten Dienstmann,
der frierend an der Ecke steht, weisend, mit
einem milden Lächeln zu seinem Begleiter
sagen: „Sehen Sie, mein junger Freund, das
ist der letzte von der nun ausgestorbenen Kunst-
kritikerbande. Ich habe ein gutes Herz und
lass' ihn manchmal einen Gang für mich thun,
obgleich er mir vor vierzig Jahren mein erstes
Bild verrissen hat. Es war ja wirklich schlecht,
aber was brauchte der Kerl das zu sagen?"
Da rasselt eine Equipage vorbei — und über-

Die Kunst für Alle XVII. sc i. August 1902.

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