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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Habich, Georg: Die Jahres-Ausstellung im Münchener Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0549

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-a-£ö> JAHRES-AUSSTELLUNG IM MUNCHENER GLASPALAST <Ö^~

bilder bringt Steppes. Besonders verdient
ferner hervorgehoben zu werden, was Marr
gesandt hat; ausser seinem Selbstporträt auf
farbig leuchtendem Grund, ein von warmem
Licht erfülltes grosses Porträtstück: ein Land-
schaftsmaler mit Staffelei und Leinwand auf
dem abendlichen Heimweg und schliesslich
eine zart komponierte, etwa im Geist der Prä-
raffaeliten stilisierte Figurengruppe: „'Wald-
geflüster''. Vorteilhaft präsentiert sich Kuschel
mit einer grossen in blauen und silbernen Tönen
modellierten Nixe, auch Landsinger ist mit
einer majestätisch über Wolken thronenden
Frauengestalt „Urania" würdig vertreten. Eine
köstlich im Detail geschilderte Flusslandschaft
mit origineller Staffage —ein Geizhals mit seinen
Schätzen im Kahn, den ein Teufel steuert —
bringt Welti (Abb. s. S. 512). Das Märchen
von der Gänsemagd erzählt sehr anmutig und
drastisch Liebenwein in einer Reihe wohl von
Mucha inspirierten Zeichnungen. Hey bringt
gleichfalls in bunter Zeichnung gar anschau-
liche und liebenswürdige Bilder aus dem alt-


fritz christ grabrelief
Jahres-Ausstellung im Münchener Glaspalast:
Münchener Künstlergenossenschaft

väterlich-deutschen Kleinstadtleben, während
der liebenswürdige Zeichner Paul Rieth mit
zwei grossen, breit und sicher gemalten Akt-
figuren — „Adam und Eva nach der Ver-
treibung" — überrascht.
Von Plastiken hätten wir der originellen
Reiterstatuette Erwähnung zu thun, die
Taschner mit bekanntem Stilgefühl in Holz
geschnitten hat, darstellend den jungen Par-
cival als „reinen Thor". Eine lebendige Pör-
trätbüste des Prof. Du Moulin-Eckard stellt
BEYRER aus. Als Medailleur verspricht Selke
(Berlin) mit einem Tableau tüchtiger Porträt-
Plaketten bemerkenswerte Leistungen für die
Zukunft.
Das Ausland tritt auf den Jahresausstel-
lungen zurück. Immerhin ist Schottland reich
genug vertreten und würde mit Arbeiten, wie
Mitchell's „Moorland", S.mith's „Pflügen-
den Pferden" u. a. Interesse erwecken, wollten
die Herren von Edinburgh und Glasgow in
Auswahl, im Hängen und im Rahmen ihrer
Bilder die tötliche Eintönigkeit vermeiden,
die hier geradezu absichtlich erstrebt zu sein
scheint. Aehnliches gilt übrigens von der Aus-
stellung der Gruppe Antwerpener Künstler.
Bei den Italienern wird leider das wenige
Gute, wie Milesi's tonig dunkel gehaltenes
Interieur mit Figuren, Favretto's chike
Skizze mit dem Täufling, Ciardi's feine
Morgenstimmung und Flusslandschaft, Sar-
torelli's tüchtige, von Segantini beeinflusste
Landschafts- und Herdenbilder, von der Masse
der wahllos gesandten Verkaufsware erdrückt.
Rizzi's grosses porträtartiges Bild einer in
schwülem Sinnen auf einem mit Damastdecke
verhängten Ruhelager hingegossenen Frauen-
gestalt, „Harmonie in Weiss und Gold", fällt
durch interessante Qualitäten der Farbe auf.
Alles in allem eine Ausstellung, die ohne
Vorurteil betrachtet zu werden verdient und
zwar mit Müsse, denn nur wer sucht, wird
hier seine Rechnung finden.

LESEFRÜCHTE
Die Kunst an und für sich selbst ist edel; deshalb
fürchtet sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen.
Ja, indem er es aufnimmt, ist es schon geadelt, und
so sehen wir die grössten Künstler mit Kühnheit ihr
Majestätsrecht ausüben.
Goethe „Kunst und Altertum*'

Die höchste Aufgabe einer jeden Kunst ist, durch
den Schein die Täuschung einer höheren Wirklich-
keit zu geben. Ein falsches Bestreben aber ist, den
Schein so lange zu verwirklichen, bis endlich nur
ein gemeines Wirkliche übrig bleibt.
Goethe „Dichtung und Wahrheit"

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