Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 25.1909-1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.12502#0356
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Segantini, Giovanni: Aus G. Segantini's Schriften und Briefen
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AUS G. SEGANTINI'S SCHRIFTEN UND BRIEFEN
LAJOS MARK MODELLE
Copyright Könyves Kälmän, Budapest
Engadin, da ich am meisten studierte und Die Kunst stirbt niemals, denn das Kunst-
das die abwechslungsvollsten und reichsten empfinden ist ein Teil unseres Ichs und ein
Naturschönheiten besitzt, die ich kenne. Hier Teil der Natur. Es ist mit unseren Leiden-
verschmelzen die Ketten der Berge und ewi- schatten verknüpft. Darum ist es unzerstör-
gen Gletscher mit dem Grün der Weiden bar, was immer auch Nihilisten und entmutigte,
und dem grünen Dom der Tannenwälder, trostlose und überzeugte Materialisten darüber
hier spiegelt sich der azurne Himmel in Seen sagen mögen,
und Teichen, die hundertmal blauer sind als
das Firmament darüber. Die üppigreichen Seit zwanzig Jahren male ich. In diesen
Weiden werden überall von kristallenen Bä- zwanzig Jahren habe ich auf öffentlichen Aus-
chen durchzogen, die aus den Felsenspalten Stellungen an Italiener nur ein Bild ans Mi-
herabkommen, um alles auf ihrem Wege mit nisterium, einen Kopf an den Maler Levi und
frischem Wasser zu tränken. Ueberall blühen drei Studien an die „Societä delle belle arti"
die Alpenrosen und alles ist erfüllt von den verkauft. Ich darf infolgedessen, ohne mich
Klängen wechselnder Harmonien, vom Ge- zu täuschen, glauben, daß das italienische Pu-
zwitscher der Vögel, dem Gesang der Ler- blikum, von einigen seltenen Ausnahmen ab-
chen, vom Geplätscher der Quellen, dem gesehen, weder meine Kunst liebtnoch wünscht
Glockenklang ferner Herden und dem Ge- und ich fühle daher, daß ich für mein Land
summe der Bienen. ein müßiger und nutzloser Künstler bin.
* Ein Kunstwerk, das gleichgültig läßt, hat
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LAJOS MARK MODELLE
Copyright Könyves Kälmän, Budapest
Engadin, da ich am meisten studierte und Die Kunst stirbt niemals, denn das Kunst-
das die abwechslungsvollsten und reichsten empfinden ist ein Teil unseres Ichs und ein
Naturschönheiten besitzt, die ich kenne. Hier Teil der Natur. Es ist mit unseren Leiden-
verschmelzen die Ketten der Berge und ewi- schatten verknüpft. Darum ist es unzerstör-
gen Gletscher mit dem Grün der Weiden bar, was immer auch Nihilisten und entmutigte,
und dem grünen Dom der Tannenwälder, trostlose und überzeugte Materialisten darüber
hier spiegelt sich der azurne Himmel in Seen sagen mögen,
und Teichen, die hundertmal blauer sind als
das Firmament darüber. Die üppigreichen Seit zwanzig Jahren male ich. In diesen
Weiden werden überall von kristallenen Bä- zwanzig Jahren habe ich auf öffentlichen Aus-
chen durchzogen, die aus den Felsenspalten Stellungen an Italiener nur ein Bild ans Mi-
herabkommen, um alles auf ihrem Wege mit nisterium, einen Kopf an den Maler Levi und
frischem Wasser zu tränken. Ueberall blühen drei Studien an die „Societä delle belle arti"
die Alpenrosen und alles ist erfüllt von den verkauft. Ich darf infolgedessen, ohne mich
Klängen wechselnder Harmonien, vom Ge- zu täuschen, glauben, daß das italienische Pu-
zwitscher der Vögel, dem Gesang der Ler- blikum, von einigen seltenen Ausnahmen ab-
chen, vom Geplätscher der Quellen, dem gesehen, weder meine Kunst liebtnoch wünscht
Glockenklang ferner Herden und dem Ge- und ich fühle daher, daß ich für mein Land
summe der Bienen. ein müßiger und nutzloser Künstler bin.
* Ein Kunstwerk, das gleichgültig läßt, hat
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