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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Steinlein, Stephan: Julius Mössel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0021

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Julius ITlöffel.

9. Entwurf-Modell zur Bemalung eines offenen Wandelganges;
von Jul. Möffel;

die gemalte Architektur gelb und rot, der Fond der Decke weiß.

waren. Dekorativ aber wollte eben jene Bewegung
nicht sein. Sie wollte — wenn man billig von der
kurzen Verirrung des naturalistischen Stiles absieht,
der mit ehrlichem Recht den Namen des Jugend-
lichen trägt — konstruktiv sein, sie betonte mit den
stärksten Akzenten ihre Ehrlichkeit. Der Übersättigung
am hohl gewordenen Prunk war damals die Fasten-
zeit gefolgt. Entbehrung, Kasteiung, Reinigung —
von den Sünden der Väter — war Losung geworden.

Eigensinniger Verzicht auf alle Nutznießung an
dein Vermögen und der Erbschaft nahezu alles Über-
lieferten — so in der Ornamentik vollkommen —
war Grundsatz, Jeder sollte ein „Einziger" sein.
„Individualität" um jeden Preis war die Forderung.
Alan vergaß, was der Wert wirklicher Tradition,
gesunder Konvention, für das künstlerische Schaffen
bedeutete, wie sehr in den schirmenden Grenzen dieser
einengenden Prinzipien gerade die künstlerische Frei-
heit stark sein kann, ja wie sehr sogar die Phan-
tasie des künstlerischen Schaffens dieser Ufermauern
und Dämme bedarf, mögen sie gleich immer und
immer wieder überflutet und im stetigen Wechsel der
Zeiten verschoben werden.

Prophetischer Eifer und prometheische Begeiste-
rung rüttelte an allen Grundfesten. Die gestaltlose
Flut der befreiten „Individualitäten" überschwemmte
die Welt. Aber die Überschwemmung war ein
Säuberungswerk. Was nicht wurzelfest im Grund
stand, trieb auf der Flut, die eine reinigende war.

Längst ist auch diesem Sturm und Drang die
Gegenbewegung gefolgt. Nachdem der Sturm vor-
übergebraust war, Ruhe eintrat, fing man an, da
und dort Schönheiten in Formen der Vergangenheit
zu entdecken, und kaum merkten wir es, wenn man
in den letzten Jahren als derniere nouvaute und
letztes Raffinement vorsetzte, was unsere Großväter
und Ahnen schon ergötzt hat. Das Resultat war
schließlich — es war ein erfreuliches — ein kritischer
Gewinn. Alit geläuterten Sinnen hatte man sich
zurückgefunden zu dem, was — dem flüchtigen Be-
obachter möchte es so scheinen — zu verlieren nicht
notwendig gewesen wäre und was manche auch gar
nicht verloren hatten, sondern sorgsam bewahrt.

Wer an den großen Bauaufgaben stand, die
Baumeister, und die mit ihnen arbeiteten, der konnte
einfach gar nicht auf den überlieferten Formenvorrat

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