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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Steinlein, Stephan: Über Konventionen, Traditionen und Moderne
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0078

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NH. 5kizze zu einem tVohnranin; von bserm. Schwabe,
tvaudvertäfelung elfenbeiusarben gestrichen. Möbel Kirschbaumholz und schwarz gebeiztes Birnbaumholz.

(A6er (Konventionen, Tradition
und Moderne)

(Don Stephan Stemkein, München.

ie allgemeine Zugendeindrücke auf
ein langes Leben wirksam werden
können, darüber ist viel gedacht und
manches Rluge und feine geschrie-
ben worden. Wie sie ini besonderen
wirken mögen oder müßten, ent-
zieht sich aller plumpzupackenden Verallgemeinerung
und oft genug straft kräftiges Leben und Wirken
alle noch so subtilen Attlieutheorien durchaus Lügen.
Und doch wieder kann verborgen, denr Lebenden
selber ohne klares Wissen darum, eine unauslösch-
liche Wirkung einzelner Eindrücke und Ereignisse
für immer lebendig bleiben, über ein ganzes Leben
seine Schatten werfen, oder Licht ausstrahlen und
oft in der seltsantsten Weise transformiert noch be-
stimmend, geheiin richtungweisend wirken, wo klar-
sichtigste Zntellektualität am wenigsten davon gewahr
zu werden vermag.

Wer als Unabe das Nürnberg der siebziger
Jahre des verflossenen Jahrhunderts noch erleben
durste, als Zählungen der dortheimischen noch zwischen
achtzig- und neunzigtausend schwankten, darf wohl
noch sagen, das alte Nürnberg, äußerlich wenigstens, *)

*) Der Verfasser ist zu obigen Betrachtungen, welche von
seiner Vaterstadt Nürnberg ihren Ausgang nehme», angeregt
worden, als er vor die Aufgabe gestellt wurde, den Arbeiten
eines modernen Nürnbergers einige Begleitworte zu widmen;
sie schienen uns aber so bedeutsam, daß wir sie als selbstän-
digen Artikel bringen, dem dann (S. 8<0 eine kurze Bespre-
chung der in den Abb. vorgeführten Arbeiten Hermann

Schwabe's folgt. Die Schriftleitung.

gekannt zu haben, wie es die Zeit der Blüte und
Reife vor Jahrhunderten erstehen ließ, halb ahnungs-
los in all der Schönheit herangewachsen zu fein, darf
wohl bedeutsam, ja ein Glück genannt werden. Ein
Glück, wenn es später nicht zum Schicksal ward;
denn jedes in Wahrheit große Erbe kann in Stunden
unglückseliger Zeitkonstellationen zum Verhängnis
gedeiheit.

Auf richtungslosen oder schlummernden Aräften
und geschwächten Instinkten vermag eine große Ver-
gangenheit in solch erdrückender Wucht zu lasten, daß
es besser wäre, ohne Ahnen und Erbe zu sein, und
arnt, als Ringender in der grotesken, peinigenden
Häßlichkeit einer charakterlosen Willionenstadt unter
Entwurzelten zu leben und dort unter armselig ab-
stoßender Nüchternheit sich bis zum fiebern zu er-
hitzen. Wider ihre Trostlosigkeit immer erneut pro-
testierend wachsen wildunbändige Aräfte, reizen zum
Ahnen, formen und Gestaltungsversuchen einer
schöneren Wirklichkeit, die dem Erben alter Schönheit
kaum die Traumwelt berühren, der Überkommenes
verehrend und bewahrend, nicht daran denken mag
zu zerstören, um anderes an die Stelle zu setzen, Neues,
und wie es ihm scheinen muß, fragwürdiges, prob-
lematisches dazu.

Seit zwanzig Zähren der Heimat im dauernden
Gefühl des Exilierten ferne, innerlichst niemals ent-
fremdet, immer wieder in größeren Zeitabständen,
kürzer oder länger dort weilend, läßt der Wandel
der Jahre Auge und Sinn, mit jedem inneren Wachs-
tum anders wertend, von der Burgmauer über die
Stadt drunten schweifen. Andere alte Städte sind
längst still, nach oft glanzvoller Vergangenheit, aus
dem Aampf der Zeiten ausgeschieden, neue Zentren
politischen, wirtschaftlichen, geistigen Lebens haben

Kunst und Handwerk. 62. Zahrg. Heft 3.

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