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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Halm, M.: Gewerbekünstler einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0106

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GewerKeßünstker einst und jtfyt.

(Von Dr. (pß. (TU. Ha km.

Ile Kunst wurzelt im Handwerk.
Ohne Kenntnis des Materials,
ohne Verständnis für die Technik
desselben läßt sich kein künstlerisch
einwandfreies Merk erhoffen. Hin-
wiederum gibt es nicht einen noch
so unbedeutenden Gebrauchsgegenstand, der sich nicht
mit Hilfe der einfachsten Mittel — glückliche Proportion
verständige Nutzung des Stoffes, farbige Reize und
ähnliches — aus der rohen oder doch primitiven Zweck-
und Nutzform zum Kunstwerk veredeln ließe. Die
Spiralfibel oder die aus dünnem Draht in Achter-
form gebogene Gewandnadel des Vorzeitmenschen,
die ältesten Vorläufer unserer gewöhnlichen Sicher-
heitsnadel, sind in diesem Sinne hervorragende Kunst-
leistungen; ihr künstlerischer Wert liegt einzig in der
materialgerechten, schlicht-zeichnerischen Biegung und
schlingung eines Bronzedrahtes.

Der vorgeschichtliche Arbeiter, sei er Töpfer oder
Metallarbeiter, ist Handwerker und Kunsthandwerker
in einer Person, in ihm vereinigt sich Technik und Kunst
zum Untrennbaren. Wie primitiv auch seine Kunst-
äußerungen sein mögen, eine der wichtigsten For-
derungen erfüllen all seine Schöpfungen, die absolute
Wahrhaftigkeit des Materials. Der Stoff und die
Technik diktieren ihm Gebrauchsform und Zier.

Und wie in vorgeschichtlicher Zeit, so blieb es
durch die Jahrhunderte, ja Zahrtausende hindurch
auch in der geschichtlichen Zeit. Das Handwerk bot
künstlerischein Schaffen die nötigen Vorbedingungen,
die Kunst erstarkte am Handwerk; sie verfeinerte und
zergliederte es zu neuen Gruppen. Man betrachte
z. B. den mittelalterlichen Metallarbeiter. Zn der

Klosterzelle zeichnet er selbst seine Entwürfe, er
arbeitet in Eisen so gut wie in Bronze, in Kupfer
so gut wie in Silber oder Gold. Der hl. Eligius,
Bischof von Tournay (gest. 659), beschlägt Pferde
und fertigt die kostbarsten Reliquienschreine. Die Grob-
schmiede wie die Goldschmiede nennen ihn gleicher-
weise ihren Patron. Allmählich scheiden sich die
einzelnen Gewerbe aus, die Huf- und Waffenschmiede,
die Schlosser, die Beckenschläger, die Gelb- und Rot-
gießer, die Goldschmiede, um nur einige zu nennen.
Oder ein ander Beispiel. Der Zimmermann, dessen
Name ihm die Herstellung des geläufigsten Wohn-
raums, das Zimmer, gab, fertigte zuerst auch die
gauze bewegliche Zimmereinrichtung. Von ihm schied
sich der eigentliche Möbelschreiner, der sich nach seinen
wichtigsten Erzeugnissen nun Tischler, Schreiner, Kistler
nennt.

Die Verfeinerung der Sitten, die stetige Zunahme
des Reichtums der Bürger steigerte die Entwicklung
und Leistungsfähigkeit des Handwerks und ließ den
Handwerker zum Künstler in seinem Gewerbe mehr und
mehr heranreifen. Noch aber ist Kunst und Gewerbe
in einer Hand vereint. Zörg Syrlin, der große Almer
Bildhauer, macht Schränke und schnitzt sein herrliches
Ehorgestühl. Die Altarbauer, ein Michel Wohlgemut,
ein Veit Stoß, malen ihre Bilder, schnitzen ihre
Figuren und streichen ihre Schreine an. Hans Hol-
bein malt f5s6 das Aushängeschild für einen Schul-
meister und sozusagen mit demselben Pinsel die
wundervollen Bildnisse des Baseler Bürgermeisters
Zakob Mayer und seiner Frau.

Zn unseren beiden großen deutschen Meistern
Albrecht Dürer und Hans Holbein sehen wir nun
aber auch schou den Umschwung sich vollziehen.
Das Handwerk löst sich allmählich von der Kunst.
Der Künstler wird der Erfinder, der Schöpfer des
Entwurfes und überläßt die Ausführuilg dem Hand-

Kunst und Handwerk. 62. Zabrg. Heft 4.

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