Eine Studie über das Münchener Kunstgewerbe.
Sine Studie üker das
Münchener (Kunffc
zewerke?)
-ch muß gestehen, daß ich
selten mit einem solchen
Heißhunger über eine
literarische Neuerscheinung mich
hermachte, wie über Raueckers
Dissertation. Wenn ich ehrlich
sein will, kann ich nicht leugnen,
daß ich aber die Arbeit schließ-
lich mit einem Gefühl des Un-
befriedigtseins, einer gewissen
Enttäuschung aus der Hand legte.
Ich kann diese Benrerkung nicht
unterdrücken und möchte doch
dem Fleiß des Verfassers wie dem
Wert seiner Ausführungen nicht
unrecht tun. Eine prinzipielle
Grundfrage aller Kritik erhebt
sich eben hier: Hat der Rezensent
eines Buches das Recht, nach
vorgefaßten Meinungen und
Ansichten zu urteilen? Wenn es
sich um höhere sachliche Interessen handelt, doch
wohl gewiß. Das höhere Interesse, das hier auf
dem Spiel steht, ist die gute neue Kunst, das gute
moderne Kunstgcwerbe. Es ist ja seit einiger Zeit
über die wirtschaftliche Tragweite der kunstgewerb-
lichen Produktion von Wäntig, von Naumann usw.
manches Interessante, aber im ganzen doch immer
noch recht wenig Positives gesagt worden. Wo aber
sollte man es eher erwarten als in einer Inaugural-
dissertation? Die gelinde Enttäuschung, die mir
Raueckers Studie brachte, ist nun aber nicht dadurch
verursacht worden, daß er etwa nicht positives
gebracht hätte; wohl aber dadurch, daß er nicht
das brachte, was ich (und mit mir wahrscheinlich
die meisten freunde des guten Neuen) erwartete.
Was ich gerne erfahren hätte, wäre der zahlen-
mäßige genaue Nachweis der wirtschaftlichen Be-
deutung des heutigen Münchener Kunstgewerbes
gewesen; und zwar hätte ich es am liebsten gesehen,
wenn zwischen Kunstgewerbe und Kuustgewerbe ein
Unterschied gemacht worden wäre. Ausdrücklich
möchte ich betonen, daß der Verfasser für diesen
Mangel — denn nach dieser Richtung hin läßt die
4L0. (Aus Pazaurek: „Guter und schlechter
Geschmack".)
Mandleuchter aus drei Bajonetten. Stuttgart,
Landesgewerbemuseum.
Vr. Rauecker, Das Kunstgewerbe in München. Münchener
Volkswirtschaftliche Studien, herausgegeben von £. Brentano
und lV. Sotz. ;c>J. Stück. Stuttgart-Berlin, I. G. Lottas Nachf.
,9;;. ;s2 5., Preis M. -p
Arbeit im Stiche — nicht wohl
verantwortlich genmcht werden
kann, eher die Schule, aus der
seine Studie hervorging. Von
den Hochmeistern der National-
ökonomie ist es ja bekannt, daß
sie alles zu verstehen glauben;
den strengen kritischen Brillen
dieser Herren wird Raueckers
Studie auch gefallen. An dieser
Stelle aber sei ihm wohlmeinend
verraten, daß es in der Kunst-
wissenschaft sich keineswegs in
erster Linie um soziale Verhält-
nisse, Lohnfragen usw. handelt.
In der Kunstwissenschaft ist in
erster Linie wesentlich die Unter-
scheidung zwischen Kunst und
Scheinkunst, der Kampf zwischen
beiden wirft auch in wirtschaft-
licher Hinsicht seine Schatten,
und gerade bei einer Studie über
das Münchener Kunstgewerbe
spielt er für den Kenner eine
Rolle. Rauecker rechnet unter
die kunstgewerblichen Betriebe:
was man vor einem Menschenalter dazu rechnete,
Glasmalerei, Kunstschlosserei, Kunstschreinerei, Pho-
tographie usw. Die Münchener Nationalökonomen-
schule will ja immer sehr „modern" sein, hier ist
sie aber leider rückständig; heute geht es nicht
mehr an, eine bestimmte Anzahl von Gewerben als
Kunstgewerbe von den anderen zu trennen; heute
gibt es nur eine wirklich verbindliche Unterscheidung:
Jeder, der „anständige" Arbeit liefert, ist ein Kunst-
gewerbler, und wer sie nicht liefert, ist ein Pfuscher,
ein Scharlatan, mag er sein „Kunstinstitut" auch mit
noch so hochtönenden Worten anpreisen. Rauecker hat
die Schriften der führenden Nationalökononien sehr-
genau studiert, aber auf diesem Gebiete sind sie
leider keine verlässigen Führer. Die Sombartsche Defi-
nition : „Dort ist Kunstgewerbe, wo das Streben
besteht, einen Gebrauchsgegenstand nicht nur zweck-
mäßig, sondern auch schön zu gestalten", nimmt er
an, obwohl sie im höchsten Grade zweideutig und
gefährlich ist. Eine Dissertation geht doch stets durch
die Hände der betreffenden Hochschullehrer. Ich muß
gestehen, wenn sich diese Herren nicht an Bemer-
kungen stießen wie z. B.: eine Zahnbürste könne
ebenso zweckmäßig als schön sein, ein Strumpfwirker
könne in wärmende Strümpfe die reizendsten Zwickel
wirken, dann muß man ihre ästhetische Begabung
gering einschätzen. Ja, ich kann nach Raueckers
233
Sine Studie üker das
Münchener (Kunffc
zewerke?)
-ch muß gestehen, daß ich
selten mit einem solchen
Heißhunger über eine
literarische Neuerscheinung mich
hermachte, wie über Raueckers
Dissertation. Wenn ich ehrlich
sein will, kann ich nicht leugnen,
daß ich aber die Arbeit schließ-
lich mit einem Gefühl des Un-
befriedigtseins, einer gewissen
Enttäuschung aus der Hand legte.
Ich kann diese Benrerkung nicht
unterdrücken und möchte doch
dem Fleiß des Verfassers wie dem
Wert seiner Ausführungen nicht
unrecht tun. Eine prinzipielle
Grundfrage aller Kritik erhebt
sich eben hier: Hat der Rezensent
eines Buches das Recht, nach
vorgefaßten Meinungen und
Ansichten zu urteilen? Wenn es
sich um höhere sachliche Interessen handelt, doch
wohl gewiß. Das höhere Interesse, das hier auf
dem Spiel steht, ist die gute neue Kunst, das gute
moderne Kunstgcwerbe. Es ist ja seit einiger Zeit
über die wirtschaftliche Tragweite der kunstgewerb-
lichen Produktion von Wäntig, von Naumann usw.
manches Interessante, aber im ganzen doch immer
noch recht wenig Positives gesagt worden. Wo aber
sollte man es eher erwarten als in einer Inaugural-
dissertation? Die gelinde Enttäuschung, die mir
Raueckers Studie brachte, ist nun aber nicht dadurch
verursacht worden, daß er etwa nicht positives
gebracht hätte; wohl aber dadurch, daß er nicht
das brachte, was ich (und mit mir wahrscheinlich
die meisten freunde des guten Neuen) erwartete.
Was ich gerne erfahren hätte, wäre der zahlen-
mäßige genaue Nachweis der wirtschaftlichen Be-
deutung des heutigen Münchener Kunstgewerbes
gewesen; und zwar hätte ich es am liebsten gesehen,
wenn zwischen Kunstgewerbe und Kuustgewerbe ein
Unterschied gemacht worden wäre. Ausdrücklich
möchte ich betonen, daß der Verfasser für diesen
Mangel — denn nach dieser Richtung hin läßt die
4L0. (Aus Pazaurek: „Guter und schlechter
Geschmack".)
Mandleuchter aus drei Bajonetten. Stuttgart,
Landesgewerbemuseum.
Vr. Rauecker, Das Kunstgewerbe in München. Münchener
Volkswirtschaftliche Studien, herausgegeben von £. Brentano
und lV. Sotz. ;c>J. Stück. Stuttgart-Berlin, I. G. Lottas Nachf.
,9;;. ;s2 5., Preis M. -p
Arbeit im Stiche — nicht wohl
verantwortlich genmcht werden
kann, eher die Schule, aus der
seine Studie hervorging. Von
den Hochmeistern der National-
ökonomie ist es ja bekannt, daß
sie alles zu verstehen glauben;
den strengen kritischen Brillen
dieser Herren wird Raueckers
Studie auch gefallen. An dieser
Stelle aber sei ihm wohlmeinend
verraten, daß es in der Kunst-
wissenschaft sich keineswegs in
erster Linie um soziale Verhält-
nisse, Lohnfragen usw. handelt.
In der Kunstwissenschaft ist in
erster Linie wesentlich die Unter-
scheidung zwischen Kunst und
Scheinkunst, der Kampf zwischen
beiden wirft auch in wirtschaft-
licher Hinsicht seine Schatten,
und gerade bei einer Studie über
das Münchener Kunstgewerbe
spielt er für den Kenner eine
Rolle. Rauecker rechnet unter
die kunstgewerblichen Betriebe:
was man vor einem Menschenalter dazu rechnete,
Glasmalerei, Kunstschlosserei, Kunstschreinerei, Pho-
tographie usw. Die Münchener Nationalökonomen-
schule will ja immer sehr „modern" sein, hier ist
sie aber leider rückständig; heute geht es nicht
mehr an, eine bestimmte Anzahl von Gewerben als
Kunstgewerbe von den anderen zu trennen; heute
gibt es nur eine wirklich verbindliche Unterscheidung:
Jeder, der „anständige" Arbeit liefert, ist ein Kunst-
gewerbler, und wer sie nicht liefert, ist ein Pfuscher,
ein Scharlatan, mag er sein „Kunstinstitut" auch mit
noch so hochtönenden Worten anpreisen. Rauecker hat
die Schriften der führenden Nationalökononien sehr-
genau studiert, aber auf diesem Gebiete sind sie
leider keine verlässigen Führer. Die Sombartsche Defi-
nition : „Dort ist Kunstgewerbe, wo das Streben
besteht, einen Gebrauchsgegenstand nicht nur zweck-
mäßig, sondern auch schön zu gestalten", nimmt er
an, obwohl sie im höchsten Grade zweideutig und
gefährlich ist. Eine Dissertation geht doch stets durch
die Hände der betreffenden Hochschullehrer. Ich muß
gestehen, wenn sich diese Herren nicht an Bemer-
kungen stießen wie z. B.: eine Zahnbürste könne
ebenso zweckmäßig als schön sein, ein Strumpfwirker
könne in wärmende Strümpfe die reizendsten Zwickel
wirken, dann muß man ihre ästhetische Begabung
gering einschätzen. Ja, ich kann nach Raueckers
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