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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Mössel, Julius: Die Farbe als Bauelement (Auszug): eine Betrachtung mehr für Architekten als für Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0028

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Julius Ittöffel.

zog strenger die notwendigen Schlußfolgerungen, in-
dem sie die Probleme der Raumkunst in ihr Ar-
beitsgebiet einbezog und immer entschiedener sich in
die eigentliche Baukunst vorwagte.

Bald verschwanden auch die schlimmsten Stil-
äußerungen vor der wirklich neuen Entdeckung der
idealen Forderungen des Materiales, überhaupt der
wahrhaft architektonischen Prinzipien, und ein ge-
sunder, wenn auch extremer Puritanismus entkleidete
jede Form ihres Äußeren bis auf die Erscheinung
ihrer technischen Vollkommenheit, worin der kritische
Geist allein noch Zweck und Wesen der in den
Dingen liegenden Aunst erkennen wollte. Die über-
raschten Architekten aber sahen neue Möglichkeiten
des Ausdrucks, die Bildhauer und Maler, die in
das Geheimnis der Zeugung eingedrungen waren,
den tiefen Sinn und Willen der zum Leben bewegten
Massen; und in diesem Verständnis und gegenseitigen
Begreifen erkannte man die füreinander bestimmten
Werte und reichte sich darüber die Hand.

Der Wille, mit allen Mitteln die Architektur
wieder zu meistern, zeigte dem davon ergriffenen
Verstand als Nächstliegendes das Problem der Form.
Die Farbe dagegen konnte bislang nur wieder Gel-

tung erlangen, soweit im Werkstoff als solchem spe-
zifische Farbwerte zum Ausdruck kamen. Denn noch
lag die im Wesen der autonomen Farbe begründete
Willkür der graphischen und bildnerischen, üppig
blühenden Disziplinen wie ein Nebel auf dem Be-
griff der organischen Eingliederung. Es war eine
befreiende Tat, die Architektur von zweckloser und
falsch angewendeter Farbe zu reinigen. Aber ganz
verzichten darauf konnte und durfte die Architektur
nicht.

*

-— Der erste unmittelbare Eindruck der

sichtbaren Umwelt auf unser Wahrnehmungsvermögen
ist ein rein koloristischer. Wie am Tiere, sehen wir
auch am Rinde, daß die farbigen Reize zuerst wahr-
genommen werden. Mit dem erwachenden Ver-
ständnis. der wachsenden Erfahrung finden wir für
Aörper und Formen und deren Zwecke bald Begriffe.
Die Erkenntnis der Formen und ihrer Zwecke aber
ist eine sekundäre Erscheinung, ein Resultat der tieferen
Anschauung und Erfahrung, die uns erwachsenen
Menschen schließlich so geläufig wird, daß wir die
Umstände, die uns primär diesen Eindruck ermög-
lichen und vermitteln, kaum mehr bedenken. Zede

*5
 
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