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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Segmiller, E.: Zum Erwachen nationalen Kunstempfindens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0046

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Zum Erwachen nationalen Kunstempfindens.

Aufenthalt in Paris." Dagegen Peter Behrens:
„Ich sehe nicht, welchen Einfluß die französische
Kunst ans Böcklin, Wagner und Nietzsche gehabt
hat, und welchen sie auf Franz Stuck und Th. Th.
Peine hat. Wenn ich nach diesen Namen noch von
mir sprechen darf, so kann ich sagen, daß ich nie-
mals eine Anregung von Frankreich empfangen
habe." Diese verschiedenen Anschauungen ziehen sich
durch alle Antworten, die auf Bierbaums Frage ein-
gingen und in der Wiener „Zeit" veröffentlicht wurden.

Unzählige Wale ist dieser Einfluß vom Stand-
punkt einer nationalen Kunst aus erörtert worden.
Wan darf wohl dahingehend zusammenfassen: daß die
Begeisterung für ausländische Kunst nur
dann unheilvoll wirken wird, wenn ihr
kein Stolz auf nationale geistige Güter
gegen über steht. Denn die Kunst ist eine subjek-
tive Äußerung, der Absatz von Kunstwerken eine
Geistes- und Geschmacksverwandtschaft zwischen
Künstler und Käufer. Mb sich der Künstler an-
regen läßt oder nicht, er muß immer er selbst
bleiben, wollen seine Werke aus Kunst Anspruch er-
heben. Wan kann kein französisches oder deutsches
Kunstwerk an sich kaufen, sondern nur einen Manet,
einen Tourbet, einen Rodin oder einen Stuck, Leibl,
Klinger. Die Persönlichkeit ist maßgebend, die Na-
tionalität, der Einfluß von Richtungen sekundär.

Non tieferer Wirkung aber ist ein fremder Ein-
fluß auf Architektur und angewandte Kunst. Pier
wird eine Nnrwälzung nur in ihrem Anfang von
starken Individualitäten, die selbst den: Impuls der
Zeit gehorchen, hervorgerufen. Wenn wir heute
an der Spitze der kunstgewerblichen Bewegung
führende Namen antreffen, so dürfen wir uns keiner
Täuschung hingeben; der neue Stil erhält erst dann
gründenden Wert, wenn er die Sprache des pand-
werkers und der Fabrikation, mit anderen Worten:
wenn er Allgemeingut geworden ist. Darin
liegt sein Segen und seine Gefährlichkeit. Es ist
einerseits jedermann imstande, sich zeitgemäß einzu-
richten; anderseits aber entbehrt die Verallge-
meinerung nur dann der Gefahr, wenn jene sich im
angebahnten Sinne, also zeitgemäß und völkisch ent-
wickelt. Jener trügerische Geist, der die Wutter-
sprache im eigenen Land verleugnen ließ, der welsche
Kultur als überirdisches Vorbild malte, ist noch nicht
gestorben. Ziehen wir historische Womente zur Er-
wägung heran, so haben wir Deutschen uns in der
Kunst nur einmal selbständig ausgedrückt und ent-
wickelt: in der Gotik (mag immerhin der Same
dieses Stils in fremder Erde zuerst Wurzeln gefaßt
haben). Die gotischen Formal- und Konstruktions-
ideen waren den Romanen fremd, die ursprünglich

fremden Elemente der Renaissance mußte den Ger-
manen erst ein Polbein, ein Dürer verständlich
machen. Früher und später überließ sich das ganze
Bildungsbedürfnis wie auch das Recht einem
überlegenen Formalismus, dessen Grundlagen dem
deutschen Empfinden nicht einmal wesensähnlich
waren. Manch deutscher Dichter rief in den deut-
schen Wald mit der berechtigten Befürchtung, es
töne schließlich ein welsches Echo zurück. Es ist eine
aufrichtige Schilderung des Zeitgeistes, wenn der
Rostocker Lauremberg 1652 singt:

„pe hadde wol gehört, dat man in keinem Land
Als in Frankrik alleen fünd Wyßheit und Verstand."

And ein anderer 1689:

„Wir reden, wir schreiben, wir singen, wir tanzen,
wir spielen, wir kleiden, wir fressen wie Franzen."

Die vom Standpunkt nationalen Kunstemp-
findens aus geradezu traurigen Erzeugnisse der
Spätbarocke — sogar die Stile eines Louis XV.
und Louis XVI. suchte man in Deutschland einzu-
bürgern — sind Beweise, daß wir damals keine Zeit-
läufte starker Eigenbetätigung hatten. Auch später-
hin — das Deutsche Reich war längst gegründet
und gefestigt — vergaß man, daß es mit zu den
ersten Aufgaben eines Volkes gehört, zeitgemäße und
nationale Kunst zu pflegen.

Vor wenigen Dezennien setzte endlich wieder
eine kräftige modern-deutsche Kunstbewegung ein;
München 1908, Brüssel, München in Paris geben
uns ein Recht, vom neuen deutschen Stil zu sprechen.
Wie im Leben des einzelnen die gefestigte Persön-
lichkeit ein Gut bedeutet, Häher als alle Gaben
eines gütigen Geschicks, so ist für ein Volk die Stärke
nationalen Bewußtseins das erhaltende Prinzip.
In gleiche,n Sinne begrüßen wir das Erwachen
des Nationalbewußtseins in der Kunst.

Wer nun die Berichte, Kritiken eines Teiles
der deutschen Presse über oben erwähnte Aus-
stellungen aufmerksam gelesen hat, wird ihrer nicht
ganz froh. Es zieht durch die Blätter wie Be-
dauern, daß die Besichtigung unserer Erzeugnisse
bei den Franzosen, insonderheit den Parisern, nicht
einen Taumel von Begeisterung auslöste. Wan
veranstaltete Rundfragen, um doch einen oder den
anderen zu finden, der rückhaltslos zustimmte. Da
und dort liest man die schüchternen Fragen, ob unsere
Farben nicht zu schwer, unsere Möbel nicht zu
nüchtern seien? Aus gut deutsch: wir beginnen
schon wieder anzufragen, wie dem Nachbar unser
paus gefällt. Deshalb scheint mir mehr wie je-
mals ein Ausspruch des Adam Iunghans aus dem
Jahre 1598 für die Situation zu paffen: „Da sich
die Deutschen so gern mit fremden Nationen ver-

Kunst und tzandrverk. 62. Jahrg. hefk

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