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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Lory, Karl: Ein halbes Jahrhundert Kunst und Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0056

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Lin halbes Jahrhundert Kunst und Handwerk.

im höchsten Grade modern, so war es seine Ein-
richtung bis zu einem gewissen Grade nicht minder.
Die „persönliche Note" klang auch hier überall durch.
Schon durch die Ausstattung der Hnion debating
Hall in Vxford war Morris auf kunstgewerbliche
Betätigung hingelenkt worden und schon sein Iung-
gesellenheim auf Red Lion Square hatte er eigen-
händig ausgestattet, da die Durchschnittsware der
Verkaufslager ihn nicht befriedigen konnte. Vollends
aber für die Bedürfnisse der Bewohner des „Roten
Dauses" wurde der Besitzer geradezu zum Erfinder
und Verfertiger aller Gcbrauchsgegenstände bis herab
zu den unbedeutendsten, „Zeder Stuhl, jeder Tisch
und jedes Bett, jeder Löffel, jeder Artig und jedes
Glas — alles mußte neu erfunden werden, um nur
ja der platten Häßlichkeit der Marktware zu ent-
rinnen"^).

Die Produktion für den eigenen Bedarf und das
eigene heim war gewissermaßen die Vorschule für
höhere Ziele. Zwei Jahre später, 186 s zu Anfang
April, erneuerte der Freundeskreis des „Roten Hauses"
die Gründung eines schon j8q? — damals von
Treswyck, Dyce, Maclise, Mulready, Bell und West-
maeott — versuchten Aünstlerbundes mit der aus-
gesprochenen Absicht handwerkliche Produkte herzu-
stellen. Was sich indes damals vor genau 50 Jahren
zusammenschloß, war sozusagen die Auswahl der
kunstschaffenden Geister des damaligen England;
vor allem die sog. „prärafaeliten" finden wir fast
vollständig vertreten: T. Madox Brown, Arthur
Hughes, E. Burne Jones, D. G. Rofetti. Die
Firma aber lautete so geschäftsmäßig als nur mög-
lich: „Morris, Marshall, Faulkner & Eo., Fine Art
Workmen in Painting, Carving, Furniture and the
Metals", ihre Adresse war „8 Red Lion Square, Hol-
born W. E." In einem beredten Rundschreiben
wandten sich die kühnen Neuerer an die Abnehmer-
kreise; den Wortlaut desselben mag man bei Wäntig
a. a. ©. S. 76 Nachlesen. Das Betriebskapital war

i) E). wäntig, Wirtschaft und Kunst, S. 73.

6;. Klöppelsxitze von Marie Fey. (*/2 d. wirkt. Größe.)

anfangs klein, doch mußte man bereits 1865 wegen
Platzmangels nach ^ueen Square, Bloomsbury,
übersiedeln, erst j88s allerdings kam es zur Eröff-
nung des Ladens in Gxford Street und gleichzeitig
zur Verlegung der Werkstatt nach Merton Abbey.
Die Seele des Ganzen blieb Morris, der sich hier
abermals als Universalgenie erwies. Ähnlich aber
wie Ruskin in erbitterter Feindschaft gegen die Ma-
schine bei der Herstellung, ja beim Transport seiner
Werke nur die Hand des Menschen oder die tierische
Araft angewandt wissen wollte, so schloß auch Morris
selbst noch von Merton Abbey fast jeden Aompro-
miß mit der industriellen herstellungsweise aus —
Wiederbelebung der Handwerkskunst wurde sein
Zdeal und entsprach dem Ziel seines Lebens. Denn
wenn er auch nicht so utopistisch dachte wie Ruskin,
sondern vielmehr klar genug sah um zunächst mit
einer Erweiterung des Wirkungskreises der Maschinen
zu rechnen, ja sie selbst bei Verwirklichung seiner
auf einen verschwommenen Sozialismus hinaus-
laufenden Menschheitsideale in Rechnung zog, so
spielte die Maschine bei ihm doch gewissermaßen
auch nur die Rolle eines notwendigen Abels und
in dem Zdealstaat, von dem er träumte, dem Zdeal-
staat des sozialistischen! Zeitalters, sollte Maschine um
Maschine stillschweigend aufgegeben werde». And
wir werden unten sehen, daß er selbst gewissermaßen
diesen Zdealzustand praktisch vorwegnahm. Ganz
 
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