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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 63.1912-1913

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Spengler, O.: "Zeit" und "Ich" im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7141#0260

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Moderne Medaillenkunst. — „Zeit" und „Ich" im Aunstgewerbe.

im Süden. Unsere Seele waltet darin. Einsamkeit,
Beschaulichkeit, Innerlichkeit atmen alle Dinge, die
Deutschland in frühern Zeiten für diese Räume
ersann. Sie waren so fest mit den Bewohnern ver-
wachsen, daß sie zu leben begannen, daß man sich
von ihnen nicht mehr trennen konnte. Die Uhr

blieb stehen, wenn ihr Besitzer starb-was

bedeutete der Glaube? paben wir heute eine peimat
wiedergefunden? paben wir wieder Stuben, in
denen die Zeit und wir allein sind? Gute Möbel
sind überall am Platze, an der U)and, am Tisch,
auf dem Teppich. Gute Tapeten bemerkt man nicht.
An guten Geräten fällt nichts auf, weder Harbe
noch Horm. Alles gehört sogleich zusammen, alles
schweigt. fOO Jahre gehören dazu, voll von einer
selbstlosen Arbeit an einer Horm, dann erst hat
sie eine Seele. U)ie selten sind heute noch solche
Dinge! U)ie viel Möbel,

Decken, Gläser, Bilder
passen nur an die Stelle,
für die sie entworfen
waren! U)ie viele wirken
nur in der Ausstellung
und nicht zu Pause! U)ie
oft entsteht statt der Stube
nur ein „Innenraum", in
dem alle Dinge von der
Kunst ihres Erzeugers
reden! Schlicht fein und
mit Schlichtheit prunken
— auf diesen Unterschied
stößt man noch so oft.

Je weniger der Künstler
hineinlegen will, desto besser



<*85. Akt-Plakette, Bronze-kjohlguß; von 5. Berkenkamp

483. Medaille Adolf Gtt, Bronzeguß;
von kjugo B e ch e r.

wird meist der Gegen-
stand. Deshalb gelingen
Kleinigkeiten, Geschirr,
Stickereien, besser als Kom-
plexe, wie ganze Zimmer
oder kostbare Bücher. Je
mehr von Eigenart und
Stilwillen in dem Dinge
liegt, desto weniger lie-
benswert ist es. Mir fragen
uns ja auch zuweilen,
warum wir lieber einen
Spitzweg an der Wand
sehen als einen Meister des
Impressionismus, und wa-
rum wir lieber Schumann
zu Pause und Strauß im
Konzertsaal hören. Das ist
nicht altmodisch. Der Subjektivismus dieser Künstler ist
zu groß und ihr allgemeiner Gehalt zu klein, uin sie in
unserer Nähe zu ertragen. Das ist eben Museumskunst
und Konzertsaalmusik; und es gibt noch zu vieles
im Kunstgewerbe, das man nur außerhalb seiner
Wohnung schätzen kann. Wir wohnen nicht in Pa-
lästen und wollen nicht in Museen wohnen. Mir
wollen auch allein zu Pause sein. Entweder ist das
Zimmer für den Bewohner da oder für den Künstler.
Gute Möbel sollen von der Zeit reden und nicht
von Stil und goldener Medaille. Es lieft sich nicht
gut in Büchern, an denen man Drucktype und
Buchschmuck sieht. Es sitzt sich auch nicht behag-

„Maria", Gips; von Adolf
Rothen bürge r.

(s/4 d. wirft. Größe.)

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