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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Koetschau, Karl: Ein Wort der Abwehr im Florastreite
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0098

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179

Ein Wort der Abwehr im Florastreite

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uns von einer Hypothese in die andere zu retten.
Ist etwa ehrliches Bekennen einer Ansicht, freimütige
Verbesserung von Irrtümern »tendenziöse Bearbeitung
der öffentlichen Meinung«? Wenn der gleiche Fall
in England sich abgespielt hätte, würden dort die
Landsleute so gegen das eigene Fleisch und Blut ge-
wütet, würden sie nicht vielmehr gefordert haben,
daß man gegen so unvermutete und so schwere An-
griffe den Angegriffenen so lange in Schutz nähme,
bis er sein Material gesammelt und durchgearbeitet
hätte? Nur gegen uns war die Lynchjustiz das einzig
richtige Verfahren. Wir dummen Deutschen haben
uns von den Engländern totschlagen zu lassen, ohne zu
mucksen. Denn es standen ja Autoritäten gegen uns
auf. Man denke, Autoritäten wie Cooksey, wie der
jüngere Lucas, wie Whitburn. Und die englischen
Fachgenossen? Nun, die staken bis auf Herbert Cook,
der vor einem Jahr noch für die Büste war, als er
sie in die kunstgeschichtliche Literatur einführte, hinter
den Kulissen. Taten auch gut daran, denn nachweis-
lich haben sie das Original nicht gesehen, wie ich
trotz Paulis entrüsteter Zurückweisung der kaum miß-
zuverstehenden Posseschen Äußerung nochmals be-
tonen muß.

Bedroht und beschimpft haben wir endlich alle
die, die nicht an unsere Hypothesen glauben. Im
Berliner Lokalanzeiger erschien ein Artikel, der mit den
Gegnern der Flora arg umsprang. Nichts konnte den
Freunden des Kunstwerkes unerwünschter sein aisgerade
dieser in grausamen Hohn getauchte Ausfall. Natürlich
mußte ihn Bode, wenn nicht geschrieben, so wenigstens
inspiriert haben. Ich möchte, da dies Gerede nicht
aufhört, endlich einmal betonen, daß es nicht der
Fall war, weder das eine noch das andere. Aber
wer wird das glauben? Unsere Gegner glauben nur
den Sendboten der Wahrheit, den Engländern. Und
wo sonst sollen wir gedroht und beschimpft haben?
Gewehrt haben wir uns, und wir sind auch, wenn
es sein mußte, unsänftiglich dreingefahren. Aber mit
offenem Visier haben wir gekämpft, keinem sind wir
mit Drohungen und Beschimpfungen in den Rücken
gefallen. Oder hat Kollege Pauli etwa ähnliches er-
fahren, als ich ihm unser Material, so gut ich nur
konnte, und obwohl er mir seine gegnerische Meinung
darlegte, so zugänglich wie nur möglich machte?
Nein, alles Reden unsererseits nützt nichts, wir sind
und bleiben Gegner, die mit schlechten Mitteln kämpfen.
Haben wir doch auch ein Gutachten verschwiegen,
das Gutachten eines angesehenen Künstlers. Uns
gegenüber hat dieser auch von uns sehr geschätzte,
aber nur um sein Urteil, nicht um ein Gutachten
ersuchte Bildhauer seiner Meinung keinen bestimmten
Ausdruck gegeben, woraus wir allerdings schließen
dürfen, daß er nicht für uns war. Er hat insbe-
sondere mir gegenüber, als ich lange mit ihm vor
der Büste stand, nur gesagt, daß das rechte Auge der
Flora schlechter gearbeitet sei als das linke, während
alle anderen, auch die Bekämpfer der Echtheit, immer
der umgekehrten Ansicht waren. Sollte etwa diese
Äußerung in die amtlichen Gutachten kommen? Pauli
schließt an den Vorwurf, daß wir gerade hier ge-

schwiegen hätten, die Ansicht an, es sei diese Unter-
drückung um so verwerflicher, als ein Künstler für
die Beurteilung der Qualität, die schließlich der Kern
des Streites sei, besonders in Betracht komme. Ganz
abgesehen davon, in wieweit ein Künstler dazu fähig
ist, Kunstwerke zu beurteilen, deren Charakter außer-
halb seiner eigenen Kunstweise liegt, auch wir Kunst-
historiker dürfen hier doch wohl mitreden, und mit Pauli
war ich mir vor der Flora einig, daß, wenn aller Lärm
verklungen sei, wir hier einsetzen müßten. Sind wir so
weit, und hat auch Pauli nur noch für das Sachliche der
Frage ein Ohr, auf das er kaum erst zu hören an-
gefangen hat, so werde ich mich freuen, ihm auf
dem Kampfplatz wieder zu begegnen.

Und nun zu Dehio. Hier kann ich mich wesent-
lich kürzer fassen. Ich bewundere seinen Mut, von
der Einsamkeit seiner Studierstube aus sich zu einer
Frage zu äußern, die längst keine Antwort mehr
heischt, da Bode in »Kunst und Künstler« ausführ-
lich über die Restaurierung der Büste gesprochen hat,
Miethe in seinem Gutachten darauf eingeht und auch
ich in dem von ihm angeführten Aufsatz schon früher
darauf hinwies, zu einer Frage, für deren Beantwortung
bisher jeder die Kenntnis des Originals als dringend
nötig erachtete. Abgesehen davon, daß mir das »Scharf-
rennen« gegen offene Tore unverständlich bleibt, liegt
hier nicht ein schwerer methodischer Fehler des Herrn
Professors vor, den seine Schüler hoffentlich niemals bei
anderen Gelegenheiten nachahmen werden? Nur nach
Photographien in einem Falle urteilen, wo das genaueste
Studium des Originals allein Aufschluß bringen kann,
heißt nichts anderes, als seine Einwände von vorn-
herein von ernsthafter Diskussion ausschalten. Aber
diesen methodischen Fehler schätze ich gering ein
im Vergleich zu der Fechtweise, die Dehio für zweck-
mäßig hält. Er zitiert Worte von mir, die ich auf
die Lucassche Photographie angewandt habe, und ver-
wertet sie dazu, um das Gesicht der Büste herabzu-
setzen. Photographie und Büste hielt ich nicht für
identisch und mit mir war neben vielen anderen z. B.
selbst ein so erfahrener Beurteiler von Photographien
wie Geheimrat Miethe vor seiner photogrammetrischen
Nachprüfung der gleichen Ansicht. Nun, ich würde
heute über die schlechte Lucassche Photographie, ob-
wohl ich mich inzwischen habe überzeugen müssen,
daß sie nach unserer Büste gemacht ist, noch genau
so urteilen, das Original aber trotzdem mit denselben
Worten preisen wie damals in der »Allgemeinen
Zeitung«. Denn eine schlechte Photographie gibt die
Vorlage eben verzerrt wieder. Und ich verpflichte
mich, unter denselben mangelhaften Bedingungen der
Aufnahme, die bei der Lucasschen Photographie vor-
lagen, es zu erreichen, daß in einer nach dem Straß-
burger Professor der Kunstgeschichte Georg Dehio
gemachten Aufnahme niemand den geschätzten Ver-
fasser der »Kirchlichen Baukunst«, sondern jeder nur
den Verfasser des Artikels in der letzten Nummer
der »Kunstchronik« erkennt.

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