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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Florentiner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0105

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Florentiner Brief

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Man hat den Eindruck, der Meister habe eben die
Arbeit verlassen, als könnte er sie jeden Augenblick
wieder aufnehmen, und fühlt sich seltsam bewegt.

Die frühere Aufstellung ließ über manche Dinge
im Unklaren; Beine und Arm verschwanden im Gewirr
der Tropfsteinbildungen; jetzt präsentiert sich alles
dem Auge und kein Zweifel bleibt. Eines nament-
lich wird gewiß: wer von den früheren Erklärern in
ihnen Motive des Tragens fand, ging in der Irre.
Thode hat das ganz richtig gesehen. Sie können, so
wie sie sind, nur vor die Hermen des Grabmals ge-
stellt gedacht gewesen sein, als grandiose Zierde des
Marmorbaues, aber nicht als menschliche Stützen der
Architektur. Die bekannte Berliner Zeichnung läßt
diesen Umstand klar genug erkennen.

Versetzt man diese vier Figuren in Gedanken an
die Stelle, an die sie kommen sollten, so kann man
sich nur schwer vorstellen, wie sie mit ihren un-
ruhigen Bewegungen nicht jeden harmonischen Ein-
druck würden zerrissen haben. Nicht ein einziges
Motiv ist ihnen allen gemeinsam und stellte das Archi-
tektonische her. Der eine greift mit dem Vorderarm
übers Gesicht, der andere, mit tiefgesenkter Schulter,
nach unten in die Fessel hinein, die seine Beine um-
schlingt; der dritte bäumt sich mit Kopf und Rumpf
rückwärts und hebt das rechte Bein so hoch, daß es
das andere fast rechtwinklig überschneidet, während
der vierte mit beiden Armen hinter sich zu .greifen
scheint und mit dem Körper eine Drehung in der
Achse macht. Man hat das Gefühl, daß der Künstler
den Zweck, dem diese Figuren dienen sollten, völlig
vergaß, als er sie schuf; das göttliche Gefühl des
Bildners riß ihn fort; er schuf aus dem vollen Gestein
heraus.

Wie wichtige Aufschlüsse sich uns endlich über
die Arbeitsmethode Michelangelos in technischer Hin-
sicht bieten, kann hier nur angedeutet werden.

Zu diesen vier Figuren hat man noch zwei andere
Originalarbeiten des Meisters gesellt: den Matthäus,
den unvollendeten Koloß, der für den Florentiner
Dom bestimmt war, und die Gruppe des Sieges,
früher im Hof des Bargello. Diese sechs Werke, die
genügen würden, um den Ruhm einer Sammlung
auszumachen, hat man in dem länglichen Eingangs-
raum der Akademie aufgestellt, der zur Tribuna des
David hinleitet.

Niemand wird die Umgebung dieser Werke schön
finden und loben. Der Raum ist frostig, selbst im
Sommer; das Licht ungenügend. Die Gruppe des
Sieges ist auch an hellen Tagen eben in ihren Um-
rißlinien zu erkennen; und wieviel besser stand der
Matthäus früher im Hof der Akademie, im offenen
Tageslicht, von einer Nische angemessen eingerahmt!
Auch sind die Gobelins mit der Schöpfungsgeschichte,
so schön sie an sich sind, nicht ganz glücklich als
Hintergrund der Kolosse. Der Blick, der diese um-
faßt, nimmt notgedrungen auch die Figuren der
Teppiche mit auf: und man könnte im Anblick der
leidenschaftlich bewegten Prigioni die zierliche Eva
hier oder den Rückenakt Adams dort missen. Aber
es ist wohl leichter, Ausstellungen zu machen, als

unter schwierigen gegebenen Bedingungen Besseres
zu schaffen.

Während der Michelangelo-Saal der Akademie
vollendet ist, steht die Eröffnung der neuen Räume
für Malerporträts und Kupferstichsammlung unmittel-
bar bevor. Die von Kardinal Leopold angelegte
Sammlung, welche nur Selbstbildnisse berühmter
Meister umfassen sollte, und an deren Ausdehnung
bis auf die Gegenwart gearbeitet worden ist, hat so
oft schon den Platz wechseln müssen; nun hat sie
gewiß für lange Zeit eine bleibende Stätte gefunden.
Es sind im ganzen neun größere und kleinere Räume,
am dritten Korridor gelegen. Die weitere Ausdehnung
hat es erlaubt, sich ein wenig mit Behagen einzu-
richten; erfreulicherweise hängen die Bildnisse meist
nur in zwei Reihen. Manch einer, der die Samm-
lung früher kannte, wird Überraschungen erleben;
und für allerhand Ausgrabungen Vergessener mag
sich hier, eine günstige Gelegenheit bieten.

Den Eintretenden fesselt gleich eine prachtvolle
Reihe englischer Porträts des 18. Jahrhunderts: Rey-
nolds, Romney, Cosway, Northcote. Ihnen schließen
sich die Deutschen mit Dürer, Holbein und Cranach
als Mittelgruppe an, dann folgt Velazquez; die ele-
ganten Franzosen — Largilliere, Lebrun, Rigaud —
vollenden den ersten Raum. Die Vlamen und Hol-
länder des 17. Jahrhunderts nehmen den zweiten Raum
ein: hier Pourbus, Mieris, Rubens und Jordaens, dort
Rembrandt, zu dessen zwei Uffizienporträts sich, wie
ich höre, auch das Jugendbildnis des Palazzo Pitti
gesellen wird.

Saal drei wurde den Florentinern eingeräumt, die
mit dem Gruppenbild der Gaddi beginnen; dann
folgen Filippino und Verrocchios Porträt von Credi,
zwei Sartobildnisse; und daß die Bildnisse Leonardos
und Michelangelos belassen wurden, sind sie gleich
nicht von der großen Meister eigener Hand, wird
man nur billig finden. Giorgio Vasari hat neben den
Meistern, deren Biographien er verfaßt hat, seinen
Platz erhalten. Gegenüber die Gruppe der späteren
toskanischen Maler: Allori, Jacopo da Empoli, Cigoli,
der kecke Giovanni da San Giovanni mit der Warze,
Lorenzo Lippi, Furini.

Was die Sammlung an Nicht-Florentinern der Ver-
gangenheit besitzt, hat der große Raum, welcher folgt,
vereinigt. Links dominieren die Bologneser: ein be-
scheidenes Format wählten die drei Carracci, während
Lavinia Fontana es für richtig befand, sich als Halb-
figur in Lebensgröße auf die Nachwelt zu bringen;
überhaupt haben die malenden Damen (man kann es
überall in diesen Sälen beobachten) sich gern in recht
großem Format abkonterfeit. Dann folgt die be-
scheidene Gruppe um Raffael, wo auch- Maratta tref-
fend seinen Platz fand. Ein reicher Rahmen des
17. Jahrhunderts umschließt eine kleine Auswahl von
Selbstbildnissen in Miniatur. Auf der anderen Haupt-
wand die venezianische Gruppe mit Tizian als Mittel-
punkt; endlich Salvator Rosa, Luca Giordano, Solimena.

Die folgenden Räume bergen die Bildnisse des
vergangenen Jahrhunderts: erst Italiener der klassi-
zistischen Periode, mit Canova, Bossi, Appiani be-
 
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