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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Das Rijksmuseum für moderne Kunst zu Amsterdam
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0114

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Das Rijksmuseum für moderne Kunst zu Amsterdam

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Schicksal. Was ihn so hoch über alle anderen er-
hebt, ist seine leidende und ringende Seele, das Durch-
drungen- und Durchtränktsein von der tiefen Tragik
alles Lebens, wie sich dies in so ergreifender Weise
in seinem hier befindlichen Selbstporträt aus dem
Jahre 1888 ausdrückt; vor diesem Bilde erschließt
sich einem die ganze Größe und Tiefe dieser Kämpfer-
natur in ihrer schlichten Männlichkeit, die den Weg,
den sie einmal für den rechten erkannt hat, zu Ende
gehen will, zu Ende gehen muß trotz allem Hohn
und Spott der Menge. Nietzsche sagt einmal, es
bestimme beinahe die Rangordnung eines Menschen,
wie tief er leiden könne; von der Wahrheit dieses
Ausspruches verspüren wir etwas vor diesem Selbst-
bildnis. Das Befreiende und Erlösende in der Natur,
was wir gemeiniglich Schönheit nennen, hat van Gogh
verhältnismäßig, selten zur Darstellung gebracht; nur
in seinen Frühlingslandschaften aus Arles mit ihren
blühenden Obstgärten macht sich der Jubel über die
Herrlichkeit der Natur Luft. Im allgemeinen aber
verdunkelten ihm die Schattenseiten des Daseins die
Lichtseiten; und mit einer Art wollüstiger Grausam-
keit, mit einer Verbissenheit und Verbohrtheit sonder-
gleichen unterstrich und vergrößerte er das Frag-
würdige und Häßliche, das Niederdrückende und
Trostlose der Natur und des Lebens. So in seinen
Kartoffelessern, in seinem Nachtcafe, von dem er
selbst in seinen Briefen sagt: j'ai cherche ä exprimer
que le cafe de nuit est un endroit oü l'on se peut
ruiner, devenir fou, commettre des crimes; dann in
seinen Porträts aus der letzten Zeit; was sind das
für unheimlich-drohende Gesichter! Die Möglichkeit
des Unheils und des Verderbens, das überall auf der
Lauer liegt, gab dann in seinem Gefühl der Natur
einen so beängstigenden Aspekt, wie das in seinen
letzten Bildern aus Saint-Remy in so erschütternder
Weise zum Ausdruck kommt. — All die hier auf-
gestellten Gemälde van Goghs sind Neuerwerbungen;
es sind im ganzen sieben, und außerdem drei Zeich-
nungen, die aber schon früher zu sehen waren. Aus den
Hauptperioden seines Lebens finden sich hierWerke. Aus
seiner Brabanter Zeit eine Federzeichnung (Nr. 2926b),
die ausgezeichnet ist durch das scharfe Erfassen des
Liniengefüges und den starken Stimmungsgehalt. Es
ist ein Weg dargestellt, der auf der einen Seite von
einer hohen Hecke, auf der anderen von einem Graben
eingefaßt, dem Beschauer entgegenläuft; es ist No-
vember, die Hecke struppig und kahl, die Weiden-
stümpfe strecken nackte, dürre Zweige in die Luft;
alles trieft von herbstlicher Feuchtigkeit und Nässe;
vergebens versucht eine niedrig hängende Sonne die
graue, trübe Regenluft zu durchbrechen, ein Spinn-
webennetz von matten Strahlen um sich verbreitend.
Ein ergreifendes Werk, von einer außerordentlichen
Melancholie erfüllt. — Aus der Pariser Zeit sein schon
erwähntes Selbstporträt, ein Brustbild (Nr. 984 g);
in der Rechten hält er Palette und Pinsel, er
steht vor der Staffelei; Blau und Gelbrot sind die
Haupttöne, auf dem Gesicht sind grüne Lichter.
— Aus der provenzalischen Zeit stammt eine un-
gewöhnlich kräftige, mit großer Energie durch-

geführte Landschaft im Pointillierverfahren, ein Korn-
feld in hellster Tagesbeleuchtung (Nr. 984 e); vorn
überwiegen grüne, blaue und rote Töne, die in keil-
förmigen Strichen unvermengt durcheinander wirbeln.
Nach dem Hintergrund zu wird die Farbe das mehr
einheitliche Gelbbraun reifen Kornes, daneben das
starke warme Grün eines Maisfeldes, das dunkle Grün
einiger Bäume und das laute Rot des Ziegeldaches
eines vereinzelten weißglänzenden Hauses; den Hinter-
grund begleitet ein niedriger Höhenzug von lila und
weißen Tönen, worüber ein kleines Stück grün-blauer
Himmel. Genießen läßt sich dies Werk erst in
einiger Entfernung, und da ist es dann erstaunlich,
wie die auf der Leinwand scheinbar willkürlich und
zufällig durcheinander geschleuderten Farbenklexe zu
einem so einheitlichen und geschlossenen, von einem
solchen intensiven Leben erfüllten Bilde von so festem
und logischem Bau zusammenfließen. Aus derselben
Zeit ist noch eine Flußlandschaft mit Kähnen (Nr. 984 b),
die im Gegensatz zu dem Kornfeld mit seiner trockenen
Luft gerade die Wirkungen einer feuchten, schwülen
Atmosphäre bei gleichfalls heißem Sonnenbrande auf
die Farbenstimmung in der Natur zur Darstellung
bringt. Flimmernd und glitzernd spiegeln sich der
blaue Himmel und der weiße Steindamm des Ufers
in dem Fluß; die Luft zittert warm; in der Farbe
wirkt dieses Stück durch den glänzenden Schmelz
und die Milderung der harten Lokaltöne durch die
Feuchtigkeit der Luft vielleicht wohltuender für das
Auge.

Ebenfalls in Arles entstanden ist ein imposantes
Stilleben von Zitronen, neben denen Tannenzweige
und blaue Handschuhe liegen (Nr. 984 d); ferner noch
zwei einander nahestehende Landschaften, ein Weg
neben einem Garten, wo zwei Damen spazieren
(Nr. 984 c) und eine Allee in einem Park (Nr. 984 h); auf
beiden Bildern ist sehr fein und wahr der unbestimmte
Eindruck der dichtstehenden Bäume mit ihrem beinahe
eine grüne Fläche bildenden Laubdache, in dem aber
dennoch die verschiedenen Schattierungen der einzelnen
Blätter noch nicht ganz untergegangen sind. Aus
seiner letzten Zeit, wo er sich im Irrenhaus zu Saint-
Remy zu seiner Genesung aufhielt, ist eine Landschaft
mit einem Kornfeld (Nr. 984 f), in dem ein Bauer
mit der Sichel die reife, gelbe Frucht niedersäbelt;
weiter zurück erhebt sich ein kahler lila Bergrücken. Was
hier am meisten trifft, das ist das Leben und die
Bewegung, die in dem Bilde herrschen; der Wind
weht hier wirklich und beugt das Korn nieder und
der Mann schwingt die sich drehende Sense und in
der grünlichen Luft rollt eine gelbe fahle Sonne ihrem
Untergang zu. Die letzte Stilwandlung des Künstlers
sieht man hier vollzogen; während er sich bisher mit
Gewalt im Zaume hielt und nur zu geben versuchte,
was er wirklich sah, mit der ganzen Energie, die
seiner leidenschaftlichen Natur eigen war, läßt er jetzt
seiner Subjektivität freien Lauf; die Natur ist ihm nun
nichts Festes mehr, sondern sie wird selbst Bewegung
und Bewegtheit, nur Vorwand, nur Rahmen für ge-
wisse Gefühle und Gedanken; hier gestaltet er die
Natur um zu dekorativen Zwecken, in großzügiger
 
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