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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Bode, Wilhelm von: Ein englischer Sammler und sein Vermächtnis an die Nation
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0122

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Ein englischer Sammler und sein Vermächtnis an die Nation

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für unsicher, weil er ewig fragte und gern Gekauftes
zurückgab oder austauschte: dies hatte aber nur den
sehr berechtigten Grund, daß er seine Sammlungen
immer zu verbessern oder zu vervollständigen strebte.
Wegen seines langen Wägens, seines starken Feilschens
und ewigen Tauschens war er bei den Händlern
wenig beliebt; auch gab er ihnen niemals Kom-
missionen, sondern bot auf allen Versteigerungen
selbst, auf denen er — selbst auf kleinen Versteigerungen
— nie zu fehlen pflegte. Dennoch ließen sich die
Händler diese unangenehme Eigenart gefallen, weil
er der tägliche Gast war, am meisten kaufte und stets
sofort zahlte. Auch waren es nur wenige, die er auf-
suchte und denen er treu blieb; bei kleinen Antiquaren
herumzusuchen oder neue Größen aufzusuchen, war
nicht sein Fall. Sein außerordentlich feiner Geschmack
für Kunst, der fast ganz auf natürlicher Begabung
beruhte — Reisen und Belehrung durch Bücher oder
gar durch Vorträge waren ihm zuwider — erhielt
seine erste Anregung durch einen alten Freund, den
bekannten Sammler altchinesischen Porzellans Louis
Huth — neben G. Fitzhenry, dem einzigen, den er als
Freund bezeichnete. Durch ihn wurde er zum Sammeln
in der gleichen Richtung bestimmt; nach wenigen
Jahren, schon Ende der siebziger Jahre, hatte er wohl
die gewählteste Sammlung altchinesischen Porzellans
in England. Gerade damals war ich in London
häufig mit ihm zusammen; er begann auch für an-
deres sich zu interessieren. Im Jahre 1879 kauften
wir zusammen den ersten orientalischen Seidenteppich,
dem bald mehrere, noch wertvollere folgten. Für
die Kunst der italienischen Renaissance bot London
damals n'ur einen geringen Markt; aber ein italie-
nischer Maler Pinti brachte regelmäßig gute Ware
aus Italien, die Salting außerordentlich interessierte.
Sein bekanntes »Konzert« von Ercole Roberts, seine
»Salome« von Cesare de Sesto, ein stattliches Porträt
von Torbido, und andere Bilder, wie seine ersten
Renaissancebronzen und Medaillen sind Erwerbungen
jener Zeit. Nicht weniger Freude hatte er aber auch
an holländischen Gemälden. Zu seinen ersten Er-
werbungen der Art gehört ein ungewöhnlich großes,
frühes Interieur von Pieter de Hooch, das er für einen
Jan Vermeer hielt nach der engen Verwandtschaft des
Bildes mit dem berühmten Familienbild der Akademie
in Wien, das W. Bürger gleichfalls irrtümlich als
Vermeer bestimmt hatte.

Allmählich erweiterte sich sein Sammelgebiet. Zur
Ausstattung seines Zimmers und zur Unterbringung
der kleinen Gegenstände erwarb er eine Anzahl vorzüg-
licher französischer Renaissancemöbel. Seine Samm-
lung von italienischen Kleinbronzen der Renaissance
dehnte er auf Medaillen und Plaketten der gleichen
Zeit aus. Wie immer nahm er nur treffliche, intakte
Exemplare. Seine ostasiatischen Sammlungen erweiterte
er durch Jadearbeiten, kleine Bronzen und Stichblätter.
Eine besondere Vorliebe hatte er für Fayencen aller
Art. Seine Sammlung italienischer Fayencen des 15.
und 16. Jahrhunderts, seit langem schon im South
Kensington Museum aufgestellt, ist nächst der einzigen
Sammlung dieses Museums die bedeutendste und vor

allem die gewählteste. Von ähnlicher Qualität sind
seine hispanomoresken und seine persischen Fayencen,
wie jene jetzt über das Victoria und Albert-Museum
zerstreut. Die Schränke im Wohnzimmer bargen eine
Sammlung der gewähltesten Zeichnungen erster Meister
und eine andere von hervorragenden Stichen. Seit
Jahren schon hatte Salting Bilder älterer englischer
Meister gesammelt, immer mit gleichem Geschmack;
erst in den letzten Jahren begann er französische
Meister des vorigen Jahrhunderts zu kaufen. Dadurch
waren seit kurzem einzelne hervorragende Land-
schaften von Corot, Daubigny, Rousseau und anderen
als Leihgabe in die National Gallery gekommen.

Alle diese Schätze sind nach der lakonischen Be-
stimmung des schon etwa zwanzig Jahre alten Testa-
ments »to the Nation« vermacht worden, und zwar
wird es den maßgebenden Behörden überlassen, welche
Kunstwerke aus diesen Schätzen gewählt, wo und
wie sie aufgestellt werden sollen. Die Gemälde wer-
den also zweifellos der National Gallery, die kunst-
gewerblichen und orientalischen Gegenstände dem
Victoria und Albert-Museum, in dem sie sich meist
schon als Leihgabe befinden, die Handzeichnungen,
Stiche, Medaillen u. s. f. dem British Museum über-
wiesen werden. Es ist hocherfreulich, daß solche
Schätze Europa erhalten bleiben, daß sie aber in
dieser Weise verzettelt werden und in die Riesen-
magazine, wie sie die englischen Museen, vor allem
das neue Victoria und Albert-Museum bilden, mehr
oder weniger verschwinden, scheint uns bedauerlich.
Gerade diese ganz gewählte, nur aus Gegenständen
von geringem oder mäßigem Umfange bestehende
Sammlung hätte für sich ein kleines Museum abge-
gegeben, und hätte darin oder im Anschluß an
die Sammlungen von Oxford oder Cambridge bei
richtiger Anordnung der Räume und Aufstellung
in London ganz andere Gelegenheit zum Genuß
geboten als jene uferlosen Riesensammlungen in
unerfreulicher Breite. Selbst die Wallace Collection,
die in ihrer Beschränkung und wohnlichen Her-
richtung mit Recht jenen Museen gegenüber so
allgemein bewundert wird, ist doch ein mit Kunst-
werken überfüllter Privatpalast, der eher eine be-
ängstigende und verwirrende als eine befreiende und
erhebende Wirkung ausübt. Aber diese Gelegenheit
ist versäumt worden; die »Nation« wird sich zu dem
Bau eines besonderen Salting-Museums, das dieser
eigenartige Mann auch als Andenken verdient hätte,
schwerlich aufschwingen, und die einzelnen Museen
werden ihre Beute nicht fahren lassen wollen. Freuen
wir uns wenigstens, daß sie, wie die gleichzeitig an
die National Gallery gefallene Galerie L. Mond,
Europa erhalten sind, und nicht wie die Pariser Samm-
lungen der Gebrüder Kann zur Reise über das große
Wasser verurteilt worden sind. Wir Kontinentalen
können auch stolz darauf sein, daß die Besitzerin der
Wallace Collection eine Französin, daß Salting ein
Däne und Ludwig Mond, dem London gerade jetzt
in der Hochflut der Deutschenhetze eine treffliche
kleine Sammlung altitalischer Meisterwerke verdankt,
ein Deutscher war!
 
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