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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Osborn, Max: Berliner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0188

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Berliner Brief

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wenn sich in der Gegend der maßgebenden Instanzen,
die doch sonst ihrer Meinung Geltung zu verschaffen
wissen, keine Hand mehr zum Schutze der Gontard-
schen Schmuckbauten rühren werde. —

In einem Punkte wenigstens ist noch keine Ver-
wirrung und kein Stillstand festzustellen: im Aus-
stellungswesen. Es bleibt dabei, daß jeder Winter
uns neue, ungeahnte Freuden und Belehrungen bringt,
und ich glaube nicht, daß die Bewohner irgend
einer andern Stadt in dieser Hinsicht mit uns wett-
eifern können. In der Akademie waltet Artur Kampf
(der leider im Herbst satzungsgemäß das Präsidium
niederlegen muß) weiter sehr glücklich seines Amtes.
Daß die amerikanische Ausstellung, die er jetzt der
unvergeßlichen Übersicht über die französische Ro-
kokomalerei folgen ließ, den Vergleich mit dieser
Vorgängerin nicht aushalten kann, ist nicht seine
Schuld. Es ist auch nicht einmal die Schuld des
New Yorker Sammlers Hugo Reisinger, der aus
eigenem und fremdem Besitz die Auswahl zusammen-
gebracht und es somit Deutschland ermöglicht hat,
sich für die im Vorjahre »drüben« genossene Gast-
freundschaft zu revanchieren. Nein, die Schuld liegt
ganz allein an — der amerikanischen Kunst selbst.
Vielleicht wäre es möglich gewesen, die Kollektion
in einigen Partien wirkungsvoller zu gestalten; manche
amerikanische Säle auf internationalen Ausstellungen
des letzten Jahrzehnts, namentlich die Abteilung der
Vereinigten Staaten im Pariser Kunstpalast von 1900,
boten ein lebendigeres, fesselnderes Gesamtbild als
die jetzige Berliner Übersicht, und man möchte
schwören (ohne es eigentlich beweisen zu können),
daß die Jugend nicht ausgiebig genug vertreten ist
— ich zähle überhaupt unter 94 Ausstellern nur elf,
die nach 1870 geboren sind. Aber in der Hauptsache
ist der überaus matte, schwächliche Eindruck des Ganzen
in der zurückhaltenden, allzu behutsamen, mitunter
geradezu ängstlichen Art der amerikanischen Malerei be-
gründet. Blickt man über die Wände der Ausstellung
hin, so fällt es auf, wie selten das Auge von einem
sinnlich-frohen, temperamentvollen Farbenspiel gepackt
wird. Es ist, als triebe die Mehrzahl dieser Künstler
ihr Metier weniger aus unwiderstehlichem inneren
Drang als vielmehr aus dem Bestreben, die Arbeit
der Architekten, Innendekorateure und Möbelhändler
in bezug auf den Wandschmuck zu ergänzen, und
als gelte es ihnen hierbei als ein Ziel, die gedämpfte,
einheitlich-ruhige, ein wenig langweilig-vornehme
Stimmung der Räume nicht zu durchbrechen. Nicht
daß man unter den zweihundert Nummern Werke
von Feinheit, Anmut und malerischer Qualität völlig
vermißte — davon kann keine Rede sein —, aber
es fehlt der Mehrzahl gleichsam das Blut in der Farbe,
die Leidenschaft im Erfassen und Wieflergeben der
Naturausschnitte, die Kraft und die Wucht im Vor-
trag. Überdies fällt eine merkwürdige Unselbständig-
keit auf, die sich nicht auf natürliche Einflüsse des
Auslandes beschränkt, sondern unmittelbar bis zur
Nachahmung führt und bei zahlreichen Stücken das
französische, englische, schottische, mitunter auch das
deutsche Vorbild mit Präzision bestimmen läßt. Den

Stolz der Sammlung bildet ein Whistler-Kab'meli, das
einige Ölbilder und eine ganze Reihe von Aquarellen
des Meisters vorführt. Das sind erlesene Delikatessen.
Vor allem entzücken eine Szene »Auf dem Balkon«
mit japanischen Frauen und einem blaugrünen Teppich,
der den Hauptakkord des farbigen Spiels anstimmt, dann
der Kopf eines jungen Mädchens gegen dunkelroten
Hintergrund, das pikante Bildchen einer Tänzerin,
das leuchtende Antlitz eines Herrenporträts (des Samm-
lers Richard A. Canfield in New York), der Akt einer
Psyche und ein in blauschwarzen Tönen schwim-
mendes venezianisches Notturno. Whistler herrscht
daneben auch in einem ausgezeichneten Kabinett der
Radierungen, wo fast ebenbürtig Joseph Penneil neben
ihm steht, der sich wie kein zweiter für die modernen
Wunder großer industrieller Anlagen und New Yorker
Wolkenkratzer einen ungemein geistreichen graphischen
Ausdruck gebildet hat. Wir kennen einen Teil seiner
glänzenden Blätter schon aus unserem Kupferstich-
kabinett, aber diese Serie wird nun hier bedeutsam
ergänzt. Graphisch empfunden sind auch die Ölbilder
von Henry H. Muhrman, die man mit Recht unter
Pennells Radierungen gemischt hat. Von dem übrigen
ist nicht allzuviel Bemerkenswertes zu notieren. Am
ehesten noch die Porträts, wobei einige Sargents führen
(die Herren Edward und Graham Robinson), denen
sich Arbeiten von Frank W. Benson (die Töchter des
Künstlers), IrvingR. Wiles (Prof. Burgeß) und die nicht
überwältigenden Bildnisse des jetzigen und des früheren
Präsidenten anschließen: Taft von Robert McCameron,
Roosevelt von Gari Melchers. Nur wenig sieht man
von den bekannten Führern der älteren amerikani-
schen Malergeneration: ein paar völlig fontainebleau-
hafte Landschaften von George Inneß (1825 —
1894); zwei ziemlich belanglose Bilder von Homer
D. Martin (1836—1897); mehrere Figurenstudien von
William Morris Hunt (1824—1879), der in Barbizon
Millet nahestand, ohne viel von seinem Geiste in sich
aufzunehmen. Der Nestor des lebenden Geschlechts
ist der Marinemaler Winslow Homer (geb. 1836), der
drüben hohen Respekt genießt; uns läßt er recht
gleichgültig. Nicht viel jünger ist Mark Fisher (geb.
1841), der in England lebt und dort der Landschafts-
malerei bedeutende Anregungen gegeben hat. Von dem
jetzt leider fast verschwundenen Einfluß der deutschen
Art gibt Frank Duveneck Kunde, der ein Schüler von
Diez in München war, und dessen »Pfeifender Junge«
unmittelbar an Leibi und an Munkacsy erinnert. Bei
Duveneck und ebenfalls in München, bei Löfftz, hat
John Henry Twachtman gelernt, der aber dann nach
Paris ging und hier die koloristische Entwicklung bis
zu Cezanne mitmachte; die eigentümliche Zusammen-
setzung der Ausstellung rückt seine Bilder weit in
den Vordergrund. Daneben kommen etwa noch die
sonnig-frischen Naturausschnitte von Childe Hassam,
ein Stilleben von Emil Carlsen und zwei Interieurs
mit figürlicher Staffage von Edmund C. Tarbell in
Betracht. In Summa: es ist nicht sehr viel, und einiger-
maßen enttäuscht verläßt man das schöne Haus der
Akademie. Aber man hat doch etwas gelernt, und
dafür sei gern der schuldige Dank ausgesprochen.
 
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