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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0202

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387

Pariser

Brief

388

tausend Leute zu den Unabhängigen, nur um das
von einem Esel gemalte Bild zu sehen, und die Ein-
trittsgelder sind nicht zu verachten, zumal sich diese
Besucher doch vielleicht auch ein paar andere Bilder
ansehen und womöglich das eine oder andere davon
kaufen.

Sonst wüßte ich kaum, was man bei der dies-
jährigen Ausstellung der Unabhängigen hervorheben
und unterstreichen müßte oder könnte. Die Größen
dieses Salons sind jetzt schon so bekannt, daß es sich
nicht lohnt, des längeren bei ihnen zu verweilen,
zumal sie so gefällig sind, bei einer einmal von der
Kritik uud dem Publikum bemerkten Manier zu blei-
ben. Sowie ihre Fabrikmarke einen Marktwert er-
rungen hat, hört das Suchen, Stürmen und Drängen
auf, und dafür können wir nur dankbar sein. An
der Spitze steht auch heute wieder der ehemalige
Mauthbeamte Henri Rousseau, der mir für mein Teil
bedeutend angenehmer und lieber ist als die Herren
Münch, Matisse, Girieud und wie sie alle heißen.
Alle diese Leute haben zeichnen gelernt und stellen
sich, als ob sie nicht zeichnen könnten; sie sind er-
wachsene Männer, die wie kleine Kinder zu stammeln
und zu stolpern versuchen. Rousseau dagegen ist
wirklich ein kleines Kind, und seine unbeholfenen
Finger entsprechen der Naivetät seines Sinnes. Seine
Ungeschicklichkeit ist rührend, wie jedes ehrliche Be-
mühen, mit unzureichenden Mitteln ein hohes Ziel zu
erreichen. Dem braven Rousseau fehlt weiter nichts
als das Können, um wie Fra Angelico von Fiesole
zu malen. Weiter nichts als das Können, also im
Grunde gar nichts, sintemalen heute gerade das
Können am allerüberflüssigsten für den bildenden
Künstler ist: ein geschmackvoll hingesetzter Farben-
fleck genügt zum höchsten Ruhme.

Selbstverständlich fehlt es bei den Unabhängigen
auch nicht an sehr tüchtigen Künstlern. Ich nenne
nur Claudio Castelucho, der sechs Bilder zeigt, darunter
ein famoses Theater mit überraschenden Lichteffekten,
die beiden Italiener Costatini und Irolli, den Pro-
vencalen Marius Hurard, dann die Veteranen Signac
und Luce, Maurice Denis, der allerdings in seinen
diesjährigen Arbeiten nicht gerade hinreißend wirkt,
die Deutschrussin Alice Dannenberg mit ihren Szenen
aus dem Luxembourggarten, Jean Baffier, der nach
einem hitzigen Kampfe mit der Societe nationale jetzt
bei den Unabhängigen ausstellt und einige sehr schöne
Zinngefäße zeigt, den Keramiker Methey mit äußerst
feinen und geschmackvollen Schalen. Die Liste
könnte leicht verzehnfacht werden, aber schließ-
lich hat es wenig Wert, einzelne Kunstwerke in
kurzen Worten hervorzuheben. Am Ende muß man
doch selber sehen, und nach der Ferne hin kann man
nur den allgemeinen Eindruck vermitteln. Dieser ist,
wie eigentlich immer, recht günstig und spricht für
die Trefflichkeit des Prinzips der Unabhängigen,
welche keine Aufnahmejury haben und alles auf-
nehmen, was von einem beitragzahlenden Aussteller
gesandt wird. Nach wie vor ist dank diesem Prinzip
der absoluten Ausstellungsfreiheit der Salon der Un-
abhängigen weitaus die interessanteste aller Pariser

Kunstausstellungen; nach wie vor muß man hierher
kommen, wenn man wissen will, was in der kom-
menden Generation der Künstler vorgeht. Daß die
wilde Gärung dieser jungen anstürmenden Leute sehr
viel trüben, lächerlichen und tollen Schaum aufwirft,
schadet gar nichts, und ebensowenig schadet es, wenn
ein paar hundert absolute Nichtskönner und Stümper
ihre sogenannten Arbeiten bei den Unabhängigen
aufhängen. Selbst diese Schöpfungen braver Leute
und schlechter Musikanten sind immer noch inter-
essanter oder gewiß ebenso interessant als die braven
Schülerpensa folgsamer Akademiker, die in den beiden
großen offiziellen Salons in geisttötender Langerweile
kilometerweit die Wände decken. Ja, nicht einmal
die Erzeugnisse wirklicher vierbeiniger Esel schaden
etwas; sie tragen im Gegenteil noch dazu bei, den
Salon amüsant zu machen. Mag man herkommen,
um zu wissen, was bei der jungen Künstlerschaft
vorgeht, oder mag man nur angenehme und lustige
Unterhaltung suchen: bei den Unabhängigen findet
man beides mehr und besser als bei den Artistes
francais oder in der Societe nationale.

Eine ganz besondere Überraschung soll uns im
diesjährigen Herbstsalon geboten werden. Vor zwei
Jahren wurde die kunstgewerbliche Ausstellung in
München von einem französischen Ausschusse be-
sucht. Der bekannte Bildhauer und Kunsthandwerker
Rupert Carabin verfaßte damals einen Bericht im
Namen des Ausschusses, worin er ausführte, daß das
französische Kunstgewerbe neben dem deutschen und
besonders neben dem Münchener im Grunde gar nicht
mehr existiere, und daß man erwarten müsse, die
kunstgewerbliche Industrie Frankreichs vor der deut-,
sehen Konkurrenz erliegen zu sehen. Um die Fran-
zosen desto heftiger aufzurütteln, hatte der Präsident
des Pariser Herbstsalons, der ebenfalls zu jenem Aus-
schusse gehörte, die Münchener eingeladen, im Jahre
1909 den Herbstsalon zu beschicken und die ganzen
Zimmereinrichtungen, die 1908 in München gezeigt
wurden, im folgenden Jahre den Parisern vorzuführen.
Aus dieser Sache wurde nichts, aber die Münchener
hatten die Einladung nur aufgeschoben und nicht
aufgehoben: sie werden im gegenwärtigen Jahre im
Herbstsalon einziehen, und Geld und Zeit sind nicht
gespart worden und werden des weiteren nicht ge-
spart werden, um den Sieg des deutschen Kunst-
handwerks zu besiegeln. Dagegen wendet sich nun
der »Matin« in einem Alarmschrei, den er betitelt:
»Das französische Kunstgewerbe in Gefahr! Eine
deutsche Invasion!« Dieser Artikel ist sehr merk-
würdig. Bisher haben uns gerade die nationalistischen
Blätter vom Schlage des »Matin« daran gewöhnt, daß
hier nur von der französischen Superiorität geredet
wird. Der einzige Geschmack der Pariser Kunst-
handwerker sollte bisher genügen, um der plumpen
und geschmacklosen Pfennigware des Auslandes den
Hals umzudrehen. Jetzt auf einmal wird Ach und
Wehe geschrieen, weil deutsche Kunsthandwerker ihre
Erzeugnisse in Paris zeigen wollen, und man gibt
die Schlacht schon verloren, noch ehe die Kämpfer
anmarschiert sind. Mit der sonst immer so stolz und
 
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