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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Osborn, Max: Berliner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0211

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Berliner Ausstellungen

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Bildes fließen sofort auch wieder auseinander, und
schmerzlich vermißt man jedes innere Gerüst, jede
feste Konstruktion des Ganzen. Man fühlt an allen
Ecken: hier muß erst wieder eiserne Zucht heran, es
fehlt an handwerklichem Können. Nur Corinth ist
anders gewappnet. Denn er hatte, als er einst in Mün-
chen die Lehren der Pariser Malerei kennen lernte,
eine solide Schule hinter sich, deren Ergebnisse er
niemals preisgab, so berserkerhaft er sich auch in den
saftigsten Kolorismus und ins feiste Fleisch stürzte.
An einer neuen, großen, streng dekorativ gehaltenen
»Weinernte« der Dora Nitz sieht man, mit welcher
Energie sich bei solchen Vorwürfen jetzt wieder
jeder Einzelne durchbeißen muß, weil kein breites,
festgefügtes allgemeines Fundament vorhanden ist.
Wie eng und untrennbar aber diese Schwierigkeiten
und Gefahren mit dem Wesen des Impressionismus
zusammenhängen, erkennt man verblüffend klar an
Manets »Erschießung des Kaisers Maximilian«. Sie
ist ein Meisterstück höchsten Ranges in der Malerei
der Soldatentruppe, in der Wärme und Weichheit
ihrer Farben; aber sie versagt in der Gruppe des
Kaisers und der beiden Generale, die mit ihm er-
schossen werden. Man vergleiche nur einmal Manets
Komposition mit Goyas Erschießung der Madrider
Straßen kämpf er von 1808, die ihr die Anregung
gab! Der Franzose nahm wohl einen Anlauf zu einer
Lösung: er wollte offenbar der Trias der Hinzu-
richtenden etwas schon Entrücktes, nicht mehr Wirk-
liches geben. Aber das Resultat ist lediglich, daß
sie schemenhaft wurde, gleichgültig behandelt er-
scheint und der innere Gehalt der erschütternden
Tragödie, die doch nun einmal dargestellt werden
sollte, nicht ins Bild gerettet wurde. Hier sitzt ein
schweres Manko; denn schließlich trägt doch jeder
Stoff das Gesetz seiner Form in sich.

Daß eine neue Sehnsucht nach großem Stil er-
wacht ist, beweist auch die Große Berliner Kunst-
ausstellung durch die Einfügung eines Karton-Saals,
der zu ihren besten Trümpfen gehört. Sie bringt
hier drei der schönsten Genoveva-Kartons von Puvis
de Chavannes und eine prachtvolle große Zeichnung
von Emile Rene Menard »Das goldene Zeitalter«, die
sich auffallend nahe mit Marees berührt. Daneben
allerdings auch zwei unnötige, weil den Sinn der
monumentalen Komposition verleugnende Kartons von
O. Picard. Und wie fern der akademische Berliner
Kreis den Forderungen dieser Kunst noch steht, be-
weisen mit übermäßiger Deutlichkeit zwei große
Kohlezeichnungen von Hans Looschen, die sich neben
Puvis wie Schultze-Naumburgische »Gegenbeispiele«
ausnehmen. Im übrigen herrscht natürlich in Moabit
mehr »Sicherheit« als in Charlottenburg — freilich:
es ist die Sicherheit des bescheidenen Niveaus, die
vergnügliche Ruhe der harmlosen Bravheit, die nicht
in verwirrender Leidenschaft nach unbekannten neuen
Zielen die Hände reckt, sondern befriedigt und liebens-
würdig auf der alten Straße hintrabt. Hier gibts keine
bangen Zweifel, kein Ringen um Probleme, kein
Überspannen der Kräfte. Mit unerschüttertem Gleich-
mut wandert man die Riesenreihe der Säle ab;

sanften Herzens verläßt man das Glashaus und wirft
auch nachher nicht mit Steinen. Friedrich Kallmorgen,
der als gerecht waltender Präsident fungierte, hat
diesmal die übliche Zerteilung des gewaltigen Mate-
rials in zahlreiche Sondergruppen im allgemeinen
aufgegeben und die gesamte Masse lustig durch-
einanderhängen lassen. Dadurch fehlen nun, ein paar
Ausnahmen abgerechnet, 'in dem wogenden Meere die
Rettungsinseln, aber den eigentlichen Stammgästen dieser
Künstlervereins- und Akademie-Ausstellung kommt
gerade das zugute. Das Publikum hatte sich schon
daran gewöhnt, nur in den Kollektivsälen länger zu
verweilen und das Übrige mit freundlicher Schnelle
zu durcheilen; dies Handwerk wird ihm jetzt gelegt.
Das Ganze gesteht mehr als früher seinen Charakter
als den einer großen Verkaufs-Schaustellung ein, und
das ist vielleicht nur ehrlich und wirkt darum gar
nicht übel, zumal da die Einzelanordnung mit Ge-
schick und Geschmack durchgeführt wurde.

Einige Oasen sind dennoch geblieben. Vor allem
eine ungarische Kollektion mit schönen Munkacsys und
Paals, über die noch von anderer Seite berichtet werden
soll, und eineausgezeichneteSonderausstellungvonZ.£sse/-
Ury, die den künstlerischen Hauptertrag darstellt und die
außerdem eine Sensation ist, da dieser Eigenbrödler
hier seit Jahren endlich wieder an die Öffentlichkeit
tritt und überhaupt zum ersten Male in einer der
großen Jahresrevuen erscheint. Er fällt am Lehrter
Bahnhof völlig aus dem Rahmen seiner Umgebung;
so viel Kraft und Originalität des farbigen Ausdrucks
ist in dem ganzen Glaspalast nicht zu finden wie in
diesen neunundzwanzig Bildern Urys. Sie sind mit
großer Sorgfalt zusammengestellt: eine ganze Reihe
seiner glänzenden, technisch vorzüglichen, im Tem-
perament der Malerei kaum erreichten Arbeiten der
achtziger Jahre, da er als ein Vorkämpfer aller neuen
Ideen aus Belgien und Paris nach Berlin zurückkam;
dann eine gute Auswahl der farbig glühenden Pastelle
der Mittelzeit; schließlich vorzügliche Proben der
letzten Phase, da Ury die Qualitäten seiner früheren
Epochen zu addieren beginnt und namentlich Blumen-
stücke und Interieurs von bezauberndem Wohlklang
hervorbringt. Ein ironischer Zufall will, daß Ury
denselben Saal innehat wie einst, vor dreizehn Jahren,
sein alter Gegner Liebermann, der damals, kurz vor Be-
gründung der Sezession, in Moabit einen Sondersaal
erhielt. . . . Gegen diesen großen Trumpf der Aus-
stellung treten alle anderen Kollektionen zurück. Man
sieht noch einen ganzen Saal mit guten und ehrlichen
Tierbildern Oskar Frenzeis; eine Reihe recht ungleich-
wertiger Bilder von W. Müller-Schönefeld; eine Gruppe
von hübschen Aquarellen Paul Meyerheims; ein Kabi-
nett mit Plastiken und Zeichnungen Franz Stassens;
ein anderes mit fidelen Karikaturen und feinen Bild-
chen Franz Jüttners, bei denen man mit Vergnügen
weilt; Skulpturen in verschiedenartigen Techniken, auch
Porzellanstücke mit verständiger Unterglasurmalerei,
von Sigismund Wernekinck.

Vom übrigen sei nur weniges hervorgehoben.
Unter den Berlinern interessieren in erster Linie Kall-
morgen selbst mit zwei neuen Hamburger Hafen-
 
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