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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0224

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431

Literatur

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er an einer Stelle (S. 5) "doch eine »nahezu einheimisch
zu nennende Art der Prämonstratenser« anerkennt, und
daß gerade diese, wenn überhaupt, so doch jedenfalls am
Mageburger Dom nicht existiert. Wenn wenigstens die
Baugeschichte in ihren bedeutungsvollen 'Abschnitten von
H. klar erkannt wäre! Und nun vollends die Plastik, die
im Dom trotz aller der Stürme, die verheerend über ihn
dahingegangen sind, in so reichem Maße erhalten ist.
Wohl dem Stück, das das Jahr seiner Entstehung trägt.
Aber sonst ist so gut wie keines von H. zeitlich richtig
angesetzt, und, anstatt ^daß_ sich der Verfasser in seiner
gänzlichen Hilflosigkeit dem Stil der Skulpturen gegenüber
wenigstens an Wilh. Bode angeklammert hätte, der in seiner
Geschichte der Plastik gerade die im Dom befindlichen
Werke sehr ausführlich behandelt, sucht er etwas darin,
von diesem »Forscher« (so H.!) abzuweichen oder sich an
ihm zu reiben.";,Ich führe einige besonders schlimme Be-
stimmungen hier an, indem ich deren richtige Datierung
in Klammern dazu setze. Pietä (1. H. des 15. Jahrh.) »aus
der spätesten (!) Zeit der Ootik, offenbar nach italienischem
Renaissancevorbild«, woran gar nicht zu denken ist, Chor-
gestühl (Mitte des 14. Jahrh., soweit es nicht aus dem
19. Jahrh. stammt) Mitte des 15. Jahrhunderts, Tympanon
über dem Paradiesportal mit Mariens Tod (14. Jahrh.) älter,
als die Klugen und Törichten Jungfrauen, weil »vom Rheims-
Straßburger Kanon so wenig beeinflußt«, Bonsacktigur
(2. Viertel 13. Jahrh., wie vor allem das Blattwerk erweist)
»späte Renaissance«, Kopf eines Schäfers von der Gruppe
außen am nördlichen Querhaus (gleichfalls 2. Viertel des
13. Jahrh.) Arbeit des Seb. Ertle, Anfang des 17. Jahr-
hunderts, Königsfigur am Westportal (nach Bode spätestens
Mitte des 14. Jahrh.) aus den letzten Jahren des 15. Jahr-
hunderts. Dabei die tollsten Erklärungen: die zuletzt ge-
nannte Königsfigur in Wirklichkeit eine Maria (aber von
irgend einer Überarbeitung keine Spur), die auf Otto I.
und Edith gedeutete Gruppe in der hl. Grabkapelle eine
Krönung Mariens, die mit Kugeln gefüllte Schale in der
Rechten Ottos ein vom Kopf genommener Nimbus. Be-
sonders interessante figürliche Kapitale von einer gewissen
Eigenart werden ohne weiteres für modern oder, wie sich
der Verfasser ausdrückt, gefälscht erklärt usw. usw. Wer sich
für weitere Einzelheiten interessiert, sei aufjneine ausführ-
lichere Besprechung in den»MagdeburgerGeschichtsblättern«
1909, S. 296 ff. verwiesen. Aber auch die obengenannten
Beispiele genügen, um den »Führer« als die Arbeit eines
Dilettanten zu kennzeichnen, der seinen Mangel an Stil-
kritik und Methode durch ungewöhnliches Selbstbewußt-
sein zu ersetzen sucht.

Der Grundriß mit den eingetragenen Linien für die
Führung außen herum, innen und im Kreuzgang, sowie
mit den Nummern der einzelnen beschriebenen Skulpturen
ist sehr praktisch, die Ausstattung reich und gut, der Preis

sehr niedrig. P. J. Meier, Braunschweig.

Albert Brinckmann, Die praktische Bedeutung der Orna-
mentstiche für die deutsche Frührenaissance. (Studien
zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 90.) Mit 25 Tafeln.
IX und 98 Seiten. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz
& Mündel) 1907.

In dem vorliegenden sehr fleißigen Werke gibt der
Sohn des bekannten Hamburger Museumsdirektors das
Ergebnis langjähriger Studien und zum allergrößten Teil
selbständig angestellter Beobachtungen. Daß sie noch
mancher Ergänzung bedürftig und fähig sind, räumt der
Verfasser selbst ein. Immerhin ist seine Arbeit sicher eine
wertvolle Grundlage für weitere Studien auf diesem Gebiet.

Sie werden wesentlich dazu führen, die Bedeutung der
Ornamentstiche, die man freilich schon seit langer Zeit
hoch anschlägt, immer noch klarer zu machen, das Ver-
hältnis der bildenden Kunst, besonders der Renaissance,
zu dem, was man heute die Urheberfrage nennen würde,
im einzelnen zu verdeutlichen. Während dies bisher haupt-
sächlich bezüglich der figürlichen Stiche unternommen
worden ist, sind die rein ornamentalen Gebilde einstweilen
wenig erforscht. Man hat sich auf eine Anzahl von Schlag-
worten und allgemeinen Begriffen beschränkt. Dem gegen-
über stellt das Brinckmannsche Werk einen eigentlichen
Anfang vor, der verständigerweise sich zunächst auf ein
enges Gebiet, nämlich auf die Ornamentformen der Früh-
renaissance beschränkt, wobei es trotz der vorgängigen
Studien von Lichtwark dem Verfasser möglich war, Selb-
ständiges und Neues zu bieten. — Die frische Belebung
der Kunst im 15. Jahrhundert gedeiht zunächst noch unter
den Traditionen der Gotik und um so lebhafter, je mehr
der Künstler sich vom Handwerker trennt. Der neu er-
fundene Kupferstich gibt die Möglichkeit, dem Handwerker
künstlerische Vorlagen zu liefern. Gleichwohl beweist
Brinckmann, daß die Verwendung der Ornamentstiche in
der angewandten Kunst nicht derart verbreitet ist, wie man
wohl annehmen möchte. Italienische, niederländische und
süddeutsche Vorbilder sind benutzt, doch ist dies mehr in
sporadischen Fällen geschehen. Des Verfassers Nachfor-
schungen haben auch insofern ein Ergebnis gehabt, als sie
für die kunstgewerbliche Kleinkunst kein neues Material
aufbrachten. Dafür aber weist er die Bedeutung der Orna-
mentstiche für die großen und monumentalen Aufgaben,
besonders der Architektur nach, das Auswachsen der kleinen
Zeichnungen in durchgeführte Arbeiten durchaus andern
Maßstabes. Gleichzeitig erfreuen wir uns der Ehrenrettung
der alten Künstler. Sie besteht in dem Nachweise, daß
ein eigentliches Kopieren nur in den seltensten Fällen statt-
gefunden hat, daß die eigene Schaffenslust doch immer
wieder über die Versuchung gesiegt hat, lediglich zu ent-
lehnen und nachzuahmen. Die italienischen Ornamentstiche
verlieren ihren Einfluß zu der Zeit, wo die deutsche Früh-
renaissance ihre eigenen Motive sich schafft, geht zum
großen Teil auch nicht über Augsburg nach Norden.
Wertvoll sind weiter die Nachweise, wie die niederländi-
schen Ornamentstiche und die der Nürnberger Kleinmeister
sich bis an die östlichen und nördlichen Grenzen des
Reichs geltend machen. Am bedeutendsten aber sind
schließlich die Ergebnisse betreffs der zeitlich und örtlich
ungewöhnlich weit ausgedehnten Wirksamkeit Aldegrevers.
Er beeinflußt die Werke verschiedenster Techniken und
verdankt dies seinem enormen Fleiß, ganz besonders aber
auch der in seinen Blättern sich aussprechenden künst-
lerischen Selbständigkeit und Schöpferkraft. — Die dem
Buch beigegebenen Tafeln stellen Vorbilder und Nachbilder,
in höchst instruktiver Weise zusammen.

Dr. O. Doering-Dachau.

P. W. v. Keppler, Aus Kunst und Leben. [1. Bd.] Frei-
burg i. B., Herder, 1908. 3. Aufl. (VIII. 346 S.)
Der erste Band dieser Sammlung von Essays aus der
Feder des bekannten Rottenburger Bischofs liegt bereits in
3. Auflage vor, nachdem in kurzer Zeit die beiden ersten
Auflagen vollständig vergriffen sind. Auch der Nichtkatho-
lik wird mit Genuß den Gedanken des Verfassers folgen
können, soweit sie ästhetischen und kunstgeschichtlichen
Fragen nachgehen; ungleich größeren Vorteil wird indes
der Leser finden, der mit dem Verfasser auf dem gleichen
Boden religiöser Anschauung steht. -a.

Inhalt: Graefe, Jan Sanders van Hemessen; Fastenau, Die romanische Steinplastik in Schwaben; Mündt, Die Erztaufen Norddeutschlands; Geisberg,
Die Anfänge des deutschen Kupferstichs; Aachener Kunstblätter; Orisar, Die römische Kapelle Sancta Santorum; v. Nörten, Rombout Verludst
sculpteur; American Journal of Archaeology; Ein neues Buch über die Bildschnitzerei von Antwerpen; Fuchs, Illustrierte Sittengeschichte;
Volkstümliche Kunst in Schwaben; Duret, Edouard Manet; Hanftmann, Führer durch den Magdeburger Dom; Brinckmann, Die praktische
Bedeutung der Ornamentstiche; Keppler, Aus Kunst und Leben.

Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13
Druck von Ernst Hedrich Nachf. g. m. b. h. Leipzig
 
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