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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0269

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521

Ausstellungen

522

gesetzt war). Auf einer dem Amasis zugeschriebenen Vase
im Louvre-Museum wägt Hermes die Seelen zweier Krieger
in Gegenwart einer Frau (Thetis?) und von Zeus; eine
zweite, wenig spätere Vase (Kylix) im Louvre zeigt Hermes
als Seelenwäger zwischen einem beschwingten Eros und
Thetis, während auf der anderen Seite der Kylix der Zwei-
kampf zwischen Achilleus und Memnon dargestellt ist.
Derartige Szenen sind noch mehrfach nachweisbar. Auch
eine im Bostoner Museum; so scheint klar zu sein, daß
der Bildhauer seine Inspiration entweder aus Vasenbildern
der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zog, wie sie in
großer Anzahl in Italien gefunden worden sind, oder von
dem Prototyp dieser Vasengemälde. Die Gestalt des
Hermes, wenn es Hermes wirklich ist, stimmt genau zu
den beschwingten Erosfiguren auf den frühen rotfigurigen
Lekythen, und die sitzende Figur auf der Rechten ist vom
Typus der Penelope auf einer Vase aus Chiusi, wobei man
ganz selbstverständlich auch an die vatikanische Penelope
denken muß. Haben wir das Recht, die Szene eine Seelen-
wägung (Psychostasia) mit Thetis zur Linken und Eros zur
Rechten des Beschauers zu nennen? Der Fisch am äußer-
sten unteren Ende dürfte vielleicht diese Ansicht bestätigen,
während der Granatapfel in der rechten Ecke wohl auf
den Tod Memnons Bezug haben kann. Dazu tritt, daß
die Geburtsszene auf dem Ludovisi - Thron eine An-
spielung auf den Tod in dem dazu gehörigen Bostoner
Teil wohl voraussetzen mag. Sicher steht, daß man auf
einem Vasengemälde die Mittelfigur mit der Wage Eros
nennen würde, daß aber die Miniaturjünglinge in den
Vasenschalen unbewaffnete Krieger sind, vielleicht weil
deren Darstellungen in Waffen auf einem Relief von
solchem Charakter schwierig gewesen wäre.

Der Zusammenhang des Bostoner Marmorwerkes mit
dem Ludovisi-Thron tritt aber mit unbedingter Sicherheit
zutage, wenn der Kitharaspieler auf dem rechten Seiten-
flügel mit der nackten Flötenspielerin auf dem römischen
Werke verglichen wird. Der eine ist der Contrepart des
andern, und abgesehen von einigen Verschiedenheiten in
der Reliefbehandlung, ist der Geist des Werkes ganz der
gleiche. Die Oberfläche ist mit der äußersten Schönheit
und Grazie ausgearbeitet, wenn auch das anatomische
Verständnis fehlt. (Die Form und die Biegung der Kissen,
auf denen der Bostoner Kitharöde und die römische Flöten-
spielerin wie auch die römische Frau mit dem Weihrauch-
becken sitzen, sind ganz exakt die gleiche.) Die Szenen
sind so nah miteinander verwandt, daß wir auch einen
Zusammenhang zwischen der bekleideten Frau vor dem
Weihrauchständer auf der andern Seite des römischen
Reliefs und dem so charakteristischen alten Weib auf der
zweiten Seite des Bostoner Reliefs zu suchen haben. Der
Realismus dieses Gesichtes einer alten Frau hat überhaupt
in der frühen Skulptur nichts, was zum Vergleich heran-
gezogen werden kann; höchstens können wir dabei an den
sogenannten Seher (»sinnender Greis«) des Olympiagiebels
denken. Die Runzeln der alten Frau sind in der gleichen
liebevollen Sorgfalt ausstudiert wie die Falten des Gewandes.
In der rechten Hand muß die Frau einen gekrümmten
Gegenstand erhoben haben, der zum größten Teil jetzt
weggemeißelt ist. Das Relief ist sehr enge zusammen-
gezogen (die alte Frau sitzt daher viel aufrechter da als
die Frau vor dem Weihrauchständer in Rom); die Knie
sind ganz heraufgezogen, so daß die Figur mit Ausnahme
der vorgestreckten Füße den ganzen Raum ausfüllt. Wenn
die Analogie mit dem Ludovisi-Thron festgehalten wird,
so muß man für diesen ein fehlendes Marmorstück konji-
zieren, das die untere Volute komplettierte und das viel-
leicht einen Altar vorstellte.

In Rom ist, wie ich höre, erst durch diese provisorische

Publikation in dem Bostoner Museumsbulletin weiteren
Kreisen bekannt geworden, welch ein unersetzlicher Schaden
Italien durch die Entführung dieses Pendants zum Ludovisi-
Thron zugefügt worden ist. Allerlei neue Gesetzentwürfe
schwirren daher durch die Luft, um das Land vor solchen
heimlichen Ausfuhrvergehen zu schützen, z. B. daß alle im
Boden Italiens ruhenden Antiken zum Nationaleigentum
erklärt werden sollten, absolute Ausfuhrverbote und ähn-
liches. Es wäre doch richtiger, wenn man besser aufpassen
und wirklich schonungslos gegen die heimlichen Ausführer,
Ausfuhrvermittler und ihre Helfershelfer vorgehen würde,
als daß der private Bodenbesitz, der durch die Ausfuhr-
hindernisse schon genügend belastet wird, auf solche Weise
von dem Eigentum der auf ihm gemachten Funde geradezu
ausgeschlossen wird. m.

AUSSTELLUNGEN

® Im Königlichen Kupferstichkabinett zu Berlin ist

die Whistlerausstellung durch eine Ausstellung des gra-
phischen Werkes Lukas van Leydens abgelöst worden.
Das Kabinett besitzt nahezu sämtliche Blätter des Künst-
lers in vorzüglichen Abdrücken, neben den Kupferstichen
und den Radierungen — Lukas van Leyden gehörte zu
den ersten, die sich der neuen Technik der Radierung be-
dienten, und versuchte als erster eine Kombination mit der
Grabstichelarbeit — gelangten auch die Holzschnitte und
eine Reihe von Büchern mit Illustrationen des Meisters zur
Ausstellung. Ein besonderes Interesse erhält die Veran-
staltung dadurch, daß man versuchte, die sämtlichen Stiche
in eine chronologische Reihe zu bringen, was bei der ver-
hältnismäßig großen Zahl datierter Arbeiten mit fast ab-
soluter Sicherheit zu .erreichen ist. Lukas van Leyden ge-
hört nicht zu den ganz großen Meistern, die aus der Fülle
eigenen Erlebens schöpfen, und deren Entwickelung bis
ins hohe Alter ein stetes Reicherwerden und Aufwärts-
schreiten bedeutet. Dürer und Rembrandt, Tizian und
Rubens geben die Hauptfypen höchster Künstlerschaft in
diesem Sinne. Aber hat man sich gewöhnt, den Begriff
künstlerischer Entwickelung überhaupt von diesen bekann-
testen Beispielen abzuleiten, so ist es doppelt interessant
und wichtig, den Verlauf einer ganz anders gearteten Ent-
wickelung in einer lebendigen Reihe vorgeführt zu sehen.
Denn in dem Werke des Lukas van Leyden liegen die be-
deutendsten und eigensten Leistungen nicht im hohen Alter,
sondern gerade in der frühesten Jugend. Man möchte es
glauben, daß er ein Wunderkind gewesen, und wenn auch
van Manders Bericht, der ihn 1494 geboren sein, also schon
im 14. Lebensjahre reife künstlerische Leistungen vollbringen
läßt, übertrieben sein mag, so glaubt man doch gern an
die ungewöhnliche Frühreife, denn der starke Akzent, der
auf den Jugendarbeiten liegt, erhält so nochmals eine be-
sondere Betonung. Als charakteristisch kann man die eigene
und selbständige Auffassung hergebrachter Themen her-
vorheben, wenn Lukas van Leyden etwa bei einer Dar-
stellung der Susanna die beiden Alten groß im Vordergrund
gibt und die Badende klein in der Ferne, oder bei einer
Bekehrung des Paulus den Geblendeten geführt von den
Seinen zeigt. Solche freie Auffassung ist typisch für die
Arbeiten der Frühzeit, — und es mag hiermit zusammen-
hängen, daß eine ganze Reihe von Darstellungen noch un-
gedeutet sind, — später wird man kaum mehr solche Dinge
finden. Der reiche Born ist rasch versiegt. Es bleibt die
bemerkenswerte bildnerische Kraft, die handwerkliche Tüch-
tigkeit und der emsige Fleiß. Aber der Stil entartet in
Manier. Die Anregungen kommen von außen, da die eigene
Phantasie nicht mehr willig neue Bilder hergibt. Dürer,
die Italiener werden maßgebend, und die eigene Person-
 
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