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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Ruhemann, Alfred: Brüsseler Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0274

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Brüsseler Brief

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Reichtum und das Raffinement seiner Palette. De la
Hoese dagegen triumphiert immer wieder und in
jedem Porträt von neuem als Psychologe; als solcher
ragt er hinauf bis zu seinen altvorderen Landsleuten
aus der Schule der großen Antwerpener und selbst
bis zu den alten Niederländern. Die spätere Kunst-
geschichte wird auf diesen bescheidenen Schaerbeeker
Meister, der so wenig Wesens aus seiner großen Kunst
macht, zurückzugreifen haben, wenn sie von der heu-
tigen belgischen Schule spricht, in der er ein pracht-
volles Unikum darstellt. Aber sonst noch enthüllten
uns die beiden Porträtsalons außerordentliche Schön-
heiten der Porträtwerke älterer und neuerer bel-
gischer Meister, die man sonst nur als Genre-, His-
torien- oder Landschaftsmaler anzusehen und zu be-
urteilen gewohnt ist. Ich nenne in dieser Hinsicht von
älteren Künstlern Leys, Gallait, Wappers, Agneessens,
Henri De Braekeleer; von neueren Lievin de Winne,
Leon Frederic, Graf de Lalaing, Fernand Khnopff,
Van Rysselberghe, Van Holder, Watelet, Richir und
so manchen sonst noch.

Nach diesem notwendigen Rückblick komme ich
auf die künstlerischen Ereignisse der jüngsten Gegen-
wart zu sprechen. Sie sind diesmal dreigestaltet: die
deutsche Kunstausstellung; der internationale Salon für
moderne Malerei, Bildhauerei, Wasserfarbenmalerei,
Schwarz-Weiß- und Münzenkunst nebst Architektur,
und die Ausstellung der »Maler der Figur und der
Idee«. Hierzu ist aber erst noch folgendes zu bemerken.
Die deutsche Abteilung der Brüsseler Weltausstellung
bildet, wie man wiederholt gelesen haben wird, ein
einheitliches Ganze. Auf diese Weise gelang es ihr,
in ihrem geschlossenen und abgerundeten Rahmen
auch eine kleine, aber gewählte nationale Kunstaus-
stellung zusammenzubringen. Die anderen Nationen
befolgten diese Methode nicht und fügten sich in die
schwer verständliche und tadelnswerte — tadelnswert
im Interesse der Kunst — Anordnung des belgischen
Ministeriums der Schönen Künste, die internationale
Kunstausstellung in den von der eigentlichen Welt-
ausstellung weit entfernten Hallen des Cinquantenaire-
Parkes einzurichten. Dort suchen sie natürlich nur
wirkliche Kunstliebhaber auf, und der großen Masse
gehen damit der Kunstgenuß und die Erziehung zur
Kunst verloren. Die Ausstellung für belgische figür-
liche und ideale Kunst wiederum, die den Bemühungen
des Idealisten und Dekorationsmalers Jean Delville ihr
Zustandekommen verdankt, befindet sich im früheren
Palais Somzee, neben der Kirche Royale Sainte-Marie,
also ganz abseits der großen Heerstraße der Fremden
und Eingeborenen. Und das ist aus verschiedenen
Gründen bedauernswert, denn die dort vertretenen bel-
gischen Modernen sind diejenigen, die noch allein
von Zeit zu Zeit durch die sonst so vermißten Ent-
hüllungen und plötzliche Offenbarungen sich her-
vortun.

Die Leser der »Kunstchronik« werden nicht von
mir verlangen, ihnen, denen die Erzeugnisse der deut-
schen Kunst so geläufig sind, herzuzählen, was man
davon hier sieht. Ich tue ihnen dagegen sicher einen
Gefallen, wenn ich ihnen verrate, daß den Belgiern

seit langer Zeit zum ersten Male wieder die Augen
darüber aufgegangen sind, daß Deutschland wirklich
eine große Kunst besitzt. Die wenigen und seltenen,
vielfach mittelmäßigen Proben, die man gewöhnlich hier
sieht, waren allerdings nicht geeignet, das bisher er-
kennen zu lassen. Diesen entschiedenen Sieg der
deutschen Kunst verdankt man zweifellos dem Um-
stände, daß die Organisatoren des deutschen Salons
sich rückhaltlos zur Moderne bekannten. Hugo
Vogels Meisterstück dekorativer Kunst, welches der
deutschen Industriehalle so recht die Weihe gibt und
»Prometheus, den Menschen das Feuer bringend«
darstellt, imponiert gewaltig durch seine robuste und
realistische Kraft. Noch wirksamer aber sind die vor-
geschrittenen, durch die Intimität ihrer Aufstellung
außerdem noch Eindruck machenden Gemälde der
Ludwig von Hofmann, Corinth, Dettmann, Kampf, von
Keller, Vogeler, Unger, Steppes, Thoma, von Uhde
und anderer, die sich so vorteilhaft neben den wenigen
hier zu sehenden Menzel, Stuck, Lenbach, Liebermann,
Leibi — das sind so die einzigen deutschen Kunst-
götter nach belgischer Auffassung — zu behaupten
wissen. In der Bildhauerei dasselbe. Was wußte
man bisher hier von einem Tuaillon, Klimsch, von
Hildebrand, Volkmann, Klinger — den man eigent-
lich nur als Radierer kannte? Alle die, welche deren
Werke hergeliehen, haben sich daher um die Hebung
unseres Ansehens in Belgien als einer kunsttreiben-
den Nation hervorragend verdient gemacht.

Wir sind also in den über hundert labyrinth-
artig zusammengewürfelten Sälen der internationalen
Kunstausstellung im Cinquantenairepark nicht vertreten,
und das ist gewiß ein großes Glück, denn diese
Kunstschau ist fast unübersehbar, unentzifferbar. Lassen
wir die Zahlen sprechen, das imponiert immer
und gibt einen Begriff von dem Umfange des Ge-
botenen. Ich zähle da: Belgien mit 480 Ölgemälden,
145 Aquarellen und Pastellen, 184 Radierungen und
Zeichnungen, 190 Skulpturen. Frankreich mit 337
gemalten, 94 radierten und gezeichneten und 69 ge-
meißelten Werken. Holland mit 145 Ölbildern, 46
Aquarellen und Pastellen, 93 Radierungen und Zeich-
nungen. Italien mit 105 Werken der Malerei, Radie-
rungen und 20 der Bildhauerei. Spanien mit 125,
beziehungsweise 20. Luxemburg mit 68 Bildern. Es
fehlt außerdem nicht an einer internationalen Abtei-
lung, an der England, die Schweiz, Ungarn, die skan-
dinavischen Reiche und Rußland beteiligt sind. Jedes
dieser Länder ist durch die besten, wenigstens gute
Namen vertreten; an keiner dieser Sektionen kann
man teilnahmlos vorübergehen. Nur hätte sich in
der Beschränkung der Meister zeigen sollen, was,
namentlich mit Bezug auf Belgien, besonders schwer
war. Die Jury hat mit großem Mut zurückgewiesen,
was sie nur zurückweisen konnte; trotzdem hatte sie
schließlich den Minister noch um den Anbau von
weiteren Sälen angehen müssen. Die Dekoration der
letzteren hat wesentlich darunter leiden müssen, denn
man sieht ihr eine gewisse Flüchtigkeit und Nüchtern-
heit an. Vornehm und geschmackvoll nur ist, wie
immer, die französische Abteilung aufgemacht, einheit-
 
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