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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Seliger, Max: Über ein Monumentalwerk des Schulmannes Meurer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0231

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224



MEURERS PFLANZENSTUDIEN







liehen Geiste durchstudiert, verdient besondere Aufmerk-
samkeit, und sie stellt allein schon eine Tat um unseren
technisch-künstlerischen Unterricht dar. Diese vorbildlich

VEROLEICH KRATERARTlOFRaEFÄSSEMITOLOCKENBI.ÜTI-F.RN
I. Prunkgefäß, Marmor, Vatikan. 2. Silberbecher mit Oolddckor, Itllaka.

'3. Oriechi Krater, Ton, Louvre Paris. 4. Schnitt durch Blütenkrone und
Fruchtknoten eines Qlookenblütlers. 5. Marienglocke (Campanula medium).

Natur- und Kunttttudie aus Meurer, Vergleichende Formenlehre
des Ornamentes uiui der Pflanze

DAS GOTISCHE KAPITELL UNI) SEIN VERHÄLTNIS ZU
PFLANZENSPROSSEN

i. Kapitell aus der Abteikirche zu Vezelay, lioo.
Kathedrale zu Pari», Trtforium, 13. Jahrb. 4.

5. u. 6. Knospenschuppen des Satnbucus.

Natur- und Kunststudie aus Meurer, »Vergleichende Formenlehre
des Ornamentes und der Pflanze

2.11. 3. Kapitell aus der
Niederblatt des Salbei.
7. Farnröllchen.

gründliche Studienweise müßte von tiefer und ferner
Wirkung sein, wenn sie breiter angewandt würde. n

o Nicht mit einseitigem Sinne, etwa bloß für Flachomamen-
tiker einige Silhouettenideen wie manche Moderne heraus-
suchend, aus denen man für einige Monate neues Kunst-
gewerbe herstellen kann, geht Meurer vor, sondern auch hier
beim Studium der Natur selbst ist er endgründlich und bietet
jeglichem Gewerbe, dem zeichnenden und modellierenden
einen neuen Weg des Studiums, der in seiner Genauigkeit
und Reichheit der Gesichtspunkte Früchte bescheren muß!
Da wird die Pflanze besonders auf ihre formbildenden
Elemente untersucht. Es wird der Grund- und Aufriß des
ganzen Geschöpfes und seiner Teile aufgesucht, es werden
die Schnittbilder, die Teihmgsideen, die Berippung, die
Beblattimg (Belappung), die Blattbenervung, die Nerven-
bewinkelung, die Einpassungsstellung der Organe zu ein-
ander geprüft, es wird der Stengel in seinem Verlaufe, in
seiner Kraftzerkleinerung und -Verteilung mit seinen Stütz-
organen, Verzweigungen, Ober)'lächenbildungen, Ringgür-
tungen, Absätzen usw. sorgfältigst ergründet immer

wird mit dem Sinne des bauenden, Anatomie sehenden
Ingenieurs und erfindenden technischen Künstlers nach
Erkenntnis gestrebt. o

o An die alten Japaner erinnert mich sein Weg mit dem
tiefen Eindringen in die Schaffensprozesse der Natur.
Wenn bei dieser Erziehung zur Genauigkeit und bei der
Öffnung der Augen für die leinen Wesenszüge, Bildungen
und Verhältnisse der Naturformen auch direkt vom Pflanzen-
studium in dem künftigen Erzeuger des Kunstgewerbes
überhaupt nichts übrig bliebe, so wäre doch diese Station
zur Gewissenhaftigkeit allein schon ein unschätzbarer Ein-
schlag in der Erziehung des schaffenden Nachwuchses. Denn
heute ist zweifellos bei der jungen Qeneration, vielleicht
durch den aus der Malerei herüberstrebenden Impressionis-
mus verursacht, eine Abneigung gegen alles Bestimmte und
Exakte, eine gewisse Neigung zur oberflächlichen nur aus
der Ferne schauenden Erkenntnis und einem raschen Ernten
erkennbar! Demgemäß wird auch mehr mit Rezepten für
heut und morgen und für Modekunst unterrichtet und über-
haupt weniger gebildet und erzogen, als geschult. d
d Besonderen Wert erhält Meurers Erziehungsweg aber
dadurch und darin scheint mir eine Gewähr seiner an-
haltenden, vorbildlichen und tiefen Wirkung zu liegen -
daß er so einleuchtend aufdeckt, wie die Kunstformensprache
entstand, sich entwickelt, und wie sie ewig fließt! - Daß
er also überhaupt nicht nur Naturstudien oder nur Kunst-
studien getrieben wissen will, sondern beides zugleich, und
daß er sie miteinander In sehr anziehender Weise ver-
bindet und im Unterrichte verbunden zu sehen wünscht,
o Hier ist in der Tat eine Schwierigkeit, die nicht leicht
und im Handumdrehen zu beseitigen ist. Denn Kunst-
geschichte lehrt ein anderer Lehrer und ein anderer
Stilgeschichte, und ein dritter, oder mehrere, tlas praktische
Schaffen, mit dem solche vergleichende Erläuterungen im
Sinne Meurers am besten verknüpft würden. Dabei hat
noch jeder Lehrer eine andere Lehrbegabung, eine andere
Ausbildung und Auffassung In der Kunst und eine andere
Schätzung des geschichtlichen Stoffes! Am eindrucksvollsten
würde wohl unterrichtet, wenn nach den ausführlichen Unter-
weisungen in der Kunst- und Stilgeschichte noch nachher von
den Entwiirflehiern (meist Künstlern), anknüpfend an den
jeweilig sich entwickelnden Eulwurf, auf ähnliche historische
Lösungen Bezug genommen werden könnte. Denn in keiner
Zeit würde ein geschichtliches Wissen beweiskräftiger und
lebendiger gemacht werden als in der Zeit der schöpferischen
Betätigung des werdenden Künstlers. Das setzt allerdings
voraus, daß die lehrenden Künstler nicht in einer gewissen
Hochschätzung der Unwissenheit, oder sagen wir, in ihrer
 
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