Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI Artikel:
Seliger, Max: Über ein Monumentalwerk des Schulmannes Meurer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0232

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ARBEITEN VON MARGARETE WIESEMANN

225

Geringschätzung des Wissens beharren. Vielleicht ist eine
solche erwünschte Erkenntnis aber jetzt im Aufkommen nach
einer Zeit der Überschätzung des Naturstudiums, das allein
und einseitig betrieben doch auch nur Halbheiten und nicht
die Harmonie in der Kunst brachte! Nachdem das Natur-
studium unserer Maler sich durch die wissenschaftlichen
Methoden der auf dem Gebiete der Reproduktionstechnik
(Dreifarbendruck) tätigen Gelehrten zu vertiefen beginnt,
nachdem man im Kunstgewerbe mehr Aufmerksamkeit auch
der Ausführungstechnik des Entworfenen auf den Schulen
zuzuwenden beginnt und so die Qualität der Arbeit nicht nur
nach dem äußeren modischen Formideale zu lenken stiehl,
dürfte auch die Einsicht wiederkehren, daß die bessere Natur-
beobachtung auch nicht allein selig macht, sondern daß
wieder ein freundschaftliches Verhältnis und mehr Vertraut-
heit mit der Entwickelung der vergangenen Kunstarbeit
vonnöten ist, um zu einer abgeklärteren, stammverwandten
und doch lebendigen natiirdurchbluteteu heutigen Kunst zu
gelangen, die die Gegenwart von uns fordert. □

o Mir ist kein Werk bekannt, das viele unserer gebräuch-
lichen und wahrlich auch wegen Unkenntnis ihres Ur-
sprunges oft genug schlecht und mißverstanden aufgefaßten
und weiter geformten oder mißverstanden angewandten
Kunstformen in so eingehender Weise in allen ihren mannig-
fachen Verwandlungsformen, die im Laufe der Jahrhunderte
und bei ihrer Einführung zu verschiedenen Völkern ent-
standen, aus der Natur erklärte. □
o Meurers Fleiß und zwanzigjährige Zähigkeit in der Ver-
folgung seines Zieles verdient die größte Bewunderung
und sie ist ein schönes Beispiel deutscher Gründlichkeit
und Gewissenhaftigkeit. Das Handbuch wird allen schaf-
fenden Künstlern, Architekten, Kunsthandwerkern und kunst-
gewerblichen Zeichnern unschätzbare Dienste tun. □
o Wir haben in Meurer auf den kunsttechnischen Gebieten
einen guten Führer, der mit beiden Beineu fest in der Ge-
schichte und Gegenwart wurzelt und uns /u ruhiger und
vernünftiger Entwickelung ermahnt. Wenn wir in seinem
Geiste studieren, dürften wir harmonischere, von Kindlich-
keiten befreitere Übergangsformen für die neue Zeit finden.
Wir werden dann auch wohl eher vor der rohen Form-
gebung eines ganz wilden und ungebildeten Schöpfertums
(Jugendstil) behütet bleiben, dem man in der jüngsten Zeit
oft genug begegnete, ein Zeichen, das mir auch anzudeuten
scheint, daß unlängst doch in mancher Hinsicht recht ober-
flächlich und zu kurz auf unseren kunsttechnischen Schulen
studiert wurde. °
o Meurers vergleichende Formenlehre vermag wohl auch
zu der, gerade jetzt wieder notwendigen Schätzung des
Wissens und besseren Bekanntschaft mit der Vergangen-
heit anzuregen und zugleich einen richtigen Maßstab für
die Leistungen der Kunstformenspraehe von heule uud
früher beizubringen. Auch das kann nur heilsam sein. □
□ Hohe Anerkennung gebührt auch dem preußischen
Ministerium, das unter jahrelanger Erhaltung einer Art von
Lehrseminar bei Meurer in Rom junge Kunstgewerbeschul-
lehrer entsandte, die Meurers Naturstudienweise in die Schule
verpflanzten und zugleich mit da/n beitrugen, das Lehr-
material zu vervollständigen. Die Schätzung des Mturerschen
Werkes beweistauch die Tatsache, daß verschiedene deutsche
Ministerien eine erhebliche Zahl der beiden großen Werke
für ihre technischen Schulen bestellten eine erfreuliche
Erscheinung und ein Trost insofern, als damit bewiesen
wird, daß nicht der Tageserfolg bei unseren Regierungen
allein maßgebend und geschätzt ist, sondern, daß auch ein-
gehende, tiefere, aber allerdings nicht schnelle Wirkung ver-
bürgende Lehrmethoden hier immer noch erstrebt zu werden
und Anerkennung zu finden vermögen. d

PROF. M. SELIQER.
 
Annotationen