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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Batka, Richard: Cornelius als Liederkomponist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0020

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geriet Cornelius ins Hintertreffen. Man lobtc ihn vicl, aber man sang
ihn wenig. Eine sektenbildende Krast hat seinc einsame Mnse nie gchabt.

llnd noch ein anderes kommt hinzu. Cornelius' Lieder sind nnr
zum kleinsten Teile eigentliche Vortragstücke, künstlerische Mitteilungen
an cine Hörerschaft. Darum „machen" sie nichts im Konzert und
wirken nachhaltig fast nur im traulichen Kreise odcr wcnn man sie
etwa allein singt. So wie es Gcdichte gibt, die man nicht rezitieren
sondern nur für sich lesen darf. Die elementare Krast, die sinnlich
packende Gewalt des Tons war Cornelius nicht gegcben, wohl aber
eine Eigenart im Sinnigen nnd Feinen, dic seinc Licder dcn kostbarsten
Schätzen der Gattung anreiht. Wcit mehr als seine Vorgängcr und
Zeitgcnossen verstand er es, in Dichters Lande zu gehn nnd die dich-
tcrischen Qualitäten seincr Texte dnrch den Nusdruck der Musik zu ver-
stärken. So ist er dcr wahrc Schöpscr des modernen deutschen Lied-
stils gewordcn, mehr als Mcister Liszt, dcm doch das fcinere Gcfühl
für dcn Geist unsercr Sprache nicht selten abging, und seine Lieder
ülieben dabei nie blosze korrekte Deklamationcn, sondern sind wirkliche
Veseelungen und Vcrlebendignngen dcr Gedichte durch Töne.

Für dergleichen fehlte zn seiner Zeit das Gefühl allcrdings fast
gänzlich. Noch heute gilt das böse Wort, daß man einem Musiker, um
ihn poetisch anzuregen, nur von Rosen und Gelbveigclein zu reden
brauche, und das war vor einem Aienschenalter noch viel schlimmer.
Alle außerhalb des Erotischcn odcr der simpelsten Naturstimmung lie-
genden Gcdichte galtcn für wenig geeignet zur Komposition. Klingcnde
Verse und eine wirksame Schlußpointe hingcgen standen hoch im Knrs
einer Generation, dic in Heinrich Heine den musikalischesten aller Pocten
verehrte. Ein Mnsiker, der sich von Hebbels „Gedankenlyrik" ange-
zogen fühlte, crschien abnorm und als kalter Reflektierer. Man
schüttelte den Kopf und licß ihn stehen.

Jnzwischen hat sich der Sinn für dichterische Schönheit auch in
der Musikwclt in erfreulichcr Weisc verseinert. Das sieht man schon
bei Brahms, oft nicht so schr in der Behandlung als in der Wahl der
Textc. llnd nun haben wir cinen Hngo Wolf, dcn unvergleichlichcn
Mitempfinder des Poeten! Nichard Strauß steht in diesem Punkt nicht
ganz auf der Hühe, cr vertritt da, trotz der absichtlichen Bevorzngung
moderner Gedichte, doch mchr einen älteren Künstlcrtypus mit vormaltend
musikalischen Jntercssen. Mit dcm machsendcn Vcrständnis für Hugo
Wolf wird abcr auch sür Cornelius, diescn als Jndividualitüt so ver-
schiedcnen, in den künstlerischen Jnstinktcn ihm so verwandten Mcistcr
die gute Stunde noch schlagen.

Vor mir licgt Cornelius op. 6: „Scchs Lieder für Bariton".
Die altc Buchhündlerphrasc, sie solltcn in dem Notenschatzc keines Musik-
freundcs fehlen, hicr wäre fie cinmal am Platzc. Aber man mache
doch den Versuch und halte Umfragc in scinem Bekanntenkreis, um sich
zu überzeugcn, wie wenig die Sachen auch in die bcsscre Schichtc
des Publikums bisher gcdrungcn sind. Nicht einmal die Ausflucht
vom teuren Preis ist bei diesem Fall gestattet, dcnn die Lieder sind
auch einzcln um ein paar Groschcn zu haben*, nnd ihre Mehrhcit zühlt
zu dcn Kleinodien der gesamtcn Lileratur. Haben wir denn überhanpt

Jm Verlag B. Schott in Mainz.

z. Gktobcrheft t90l
 
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