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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1901)
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A., ...: Kunst für Alle?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0058

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kunst ist Falschmcldung. Uud so sälscht und verderbt sic das Gcfühls-
leben, wic falsche Wissenschaft das Tcnkcn sälschk und verdcrbt.

Z. Unsere Auffassuikg von Kunst im wcitesten Sinnc ist der großcn
Mehrheit selbst der Gebildetcn zwar noch ncu, aber sic ist im Grunde
so einsach, daß auch der „Ungcbildetc", daß jcder klarc und denksühige
Kopf sic vcrstehen kann, ivcnn sie ihm an Bcispielcn anschaulich erläutert
wird. Dcshalb halten mir ihre immer wiederholte Bctonung und Er-
läuterung in iveiten Kreisen in ihrer Wirkung nicht sür aussichtslos.
Sie führt zudem zurück auf sittlichc Werte, und solchc zu vcrstchcn
ist auch dcr ästhetisch Ungeübte lcichter befähigt. Jnsbesondere abcr
halten wir es für erreichbar, wcnn auch nicht durch schnclle dilettantische
Versuche, sondern nur durch lange si)stcmatische Arbeit — wir haltcn
es für crreichbar, sagen wir: daß die großc Mehrheit cin natürlichcs
ästhetisches Vcrhalten zu ihrer nächsten Umgebung wicder gewinnt. Wir
mcinen: daß der Handwcrkcr scin Handwerk, daß dcr Gcbranchendc die
Gegenstände seines tagtäglichcn Gcbrauchs, daß dcr Bemohner seine
Wohnung, daß der Schrcitendc seincn geivohincn Weg und was ihn
umgibt, wieder üsthetisch zu schcn lcrne. Wir halten das sür möglich,
wcil es dabci nichts Ncues einzupflanzcn, sondern nur Organc zu kräf-
tigen gilt, die, durch Jahrtauscnde natürlich thälig, durch bcsondcre Ver-
hältnisse jüngst erst cntübt wordcn sind. und auch das, gottseidank,
noch nicht überall. Warum wir's sür richtig halten, das ergibt sich
aus unsercr cbcn umschriebenen Auffassung des Begriffs „Kunst im
weiteren Sinne" von selbst. Und ebcnso noch eine mcitere Folgcrung.
Wer die ungeheure Gefahr überhaupt erkennt, welchc das Versngcn der
Gefühlssprache durch Ohr oder Auge sür die Menschheit bedeutct, der
m ü ßtc, ein jcdcr von seiner Stelle, zu rettcn suchen, was er kann,
und ivenn ihm die Möglichkeit der 3icttung auch noch so klcin erschiene.
Bci der Größc dcs Gutcs, das dn in Frage steht, haben wir gar
keinc Wahl, selbst dcr Strohhalm wäre ja besscr als nichts, wenn
nichts Stürkeres zum Ncttungsvcrsuche da wäre.

Doch nnders liegcn sür uns die Dingc, wo sich's um Knnst
im engcren Sinne handclte, sagen wir kurz : um Ä u n st werk e. Wcnn
dem alten Sprnche nach einem jcden Hcmd nühcr ist als Rock, >o scheint
uns für jedermnnn die üsthetischc Gcstaltung seines cigenen Alltags
wichtiger als scin Verstündnis für frcmdcn Feicrtag. Wcr mit Natur
und Leben selbst in starkem üsthctischcn Zusammenhangc steht, kann
dcnn doch auch ohne dcn Genuß eigentlichcr Kunstwcrkc cin tüchtigcr
Mensch sein. Abcr wir glauben: das Edelste, mas der Nationalschatz
eines Volkes an Gefühlswerten besitzt. daran soll nach Möglichkcit
teilnchmen können, wer's habcn mag. Daß es alle vcrlangen, daß
es allc erhaltcn, daß alle gar alles erhaltcn könntcn, das, selbst-
verständlich denken mir nicht. Mit unsern Gründen sür dieses unser
Denkcn brauchen wir abcr die Lcscr hcute nicht wiedcr zu bemühen.
Die haben wir kürzlich erst auseinandergesctzl — unsere Leser wissen,
was wir unter eincr Srationalökonomie dcs Geistes vcrstehcn.

Und somit genug für heutc, denn heutc wolltcn wir ja nur zeigen,
wie wir zu dcm Schlagwort ciner »Kunst sür Alle" stehen. A.

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2. Mktoberbest 1901
 
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